THEMA DES ARTIKELS
Es ist das neue Paradox: Während an manchen Stellen noch immer der Konsum rauscht, erfahren wir an anderen plötzlich Knappheit. Eine völlig neue Erfahrung – die das Verhalten vieler Menschen entscheidend verändert.
Text: Julia Thiem
THEMA DES ARTIKELS
Es ist das neue Paradox: Während an manchen Stellen noch immer der Konsum rauscht, erfahren wir an anderen plötzlich Knappheit. Eine völlig neue Erfahrung – die das Verhalten vieler Menschen entscheidend verändert.
Text: Julia Thiem
Gestiegene Energiekosten, wichtige Medikamente, die wochenlang nicht zu bekommen sind, oder sinkende Grundwasserspiegel das ganze Jahr: Mittlerweile ist Ressourcenknappheit in allen Bevölkerungsschichten angekommen. Wir spüren Mangel – unabhängig von unseren finanziellen Möglichkeiten –, weil Lieferketten nicht mehr funktionieren, die Infrastruktur veraltet ist oder natürliche Ressourcen schlicht am Limit sind.
Für viele Menschen ist das ein komplett neues Erlebnis. Für viele andere seit Jahren Alltag, auch in wohlhabenden westlichen Ländern, wie Markus Tauschek, Professor für Europäische Ethnologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, zu bedenken gibt: „Es gab schon lange vor dem Ukraine-Krieg Menschen in Deutschland, die Mangel verspüren und deswegen zum Teil prekäre Entscheidungen treffen müssen. Heize ich die Wohnung, mache ich das Licht an oder kaufe ich Lebensmittel?“ Demgegenüber steht allerdings auch ein ungebremster Konsumdrang hier im „globalen Norden“, der Mangel und Knappheit scheinbar ignoriert und deshalb skurrile Ausmaße annimmt.
240 Millionen Euro in deutschen Schubladen
Ein Beispiel gefällig? Wir Deutsche horten rund 200 Millionen Alt-Handys, hat der Branchenverband Bitkom herausgefunden. Darin enthalten: 6,2 Tonnen Gold, 63 Tonnen Silber und 3400 Tonnen Kupfer, die recycelt werden könnten, rechnet die Deutsche Umwelthilfe vor. Die Metalle der ausrangierten Handys reichen rein rechnerisch aus, um den Materialbedarf aller neuen Smartphones über Jahre zu decken, hat das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln festgestellt. Der Materialwert läge bei 240 Millionen Euro.
Die Schätze in unseren Schubladen sorgen in den Abbauländern für Ausbeutung. Tauschek beobachtet jedoch auch ein Umdenken: „Gerade vor dem Hintergrund der Klimakrise erkennen die Menschen mittlerweile, dass unser Überfluss in Beziehung zum Mangel und der Ressourcenknappheit in anderen Teilen der Welt steht.“ Wie Menschen mit dieser Erkenntnis umgingen, sei interessant, sagt der Kulturwissenschaftler. Einerseits gäbe es Menschen, die keine Wahl haben und deshalb lernen müssen, mit Mangel umzugehen. Andere würden mittlerweile gezielt Verzicht üben.
Extremes Beispiel ist hier sicherlich ein radikaler Minimalismus – getreu dem Motto „Besitz belastet“. Es gibt aber auch viele Abstufungen, wie etwa der bewusste Verzicht auf Fleisch, Energiesparmethoden oder ein achtsamer Umgang mit Lebensmitteln. Kritiker prangern oft das Wort „Verzicht“ an, weil es im Widerspruch zu Wachstum und Wohlstand zu stehen scheint. Tauschek sieht daher als Ergebnis dieser Kontroverse einerseits die Rückbesinnung auf den Nationalstaat – jedes Land versuche bestmöglich durch die Krise zu kommen – und andererseits einen neuen Realismus, wenn es um die schonungslose Offenlegung globaler Verflechtungen geht.
Umdenken bei Jüngeren
Die Menschheit hat eigentlich immer mit Mangel und Knappheiten gelebt – und zwar in existenziellem Ausmaß“, sagt Tauschek, „Phasen des Überflusses, beispielsweise nach Ernten, waren eher kurzfristiger Natur.“ Über das kommunikative Gedächtnis – etwa aus Erzählungen der Großeltern – würden wir auch noch den Mangel als unmittelbare Folge des Zweiten Weltkriegs kennen. Dieses Gedächtnis werde nun durch den Ukraine-Krieg aktiviert. Anders verhält es sich bei den jüngeren Generationen, die jetzt politisch aktiv werden. Sie haben Mangel nie wirklich gespürt und auch nicht überliefert bekommen. Dass sie dennoch auf Knappheit und Mangel aufmerksam werden, sieht Tauschek in ihrer starken Ausrichtung auf die Zukunft unserer Erde begründet.
Julia Thiem arbeitet seit vielen Jahren freiberuflich als Journalistin und Autorin.
Julia Thiem arbeitet seit vielen Jahren freiberuflich als Journalistin und Autorin.
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