STRUKTURWANDEL

„Glück auf!“ für die rheinischen Steiger

Das Aus für die Kohleverstromung könnte für viele kleinere Unternehmen den stillen Tod bedeuten. Jetzt verbinden sich Firmen, Unis und Verbände, um das Rheinische Revier mit ihrem Bergbau-Know-how und neuen Ideen wieder nach vorne zu bringen.

Text: Michael Hirz

STRUKTURWANDEL

„Glück auf!“ für die rheinischen Steiger

Das Aus für die Kohleverstromung könnte für viele kleinere Unternehmen den stillen Tod bedeuten. Jetzt verbinden sich Firmen, Unis und Verbände, um das Rheinische Revier mit ihrem Bergbau-Know-how und neuen Ideen wieder nach vorne zu bringen.

Text: Michael Hirz

Es sind vermutlich nur Optimisten und Ignoranten, die vor dieser Herausforderung nicht weiche Knie bekommen: In nur sieben Jahren ist es vorbei mit Tagebau und Kohleverstromung im Rheinischen Revier, dem größten europäischen Braunkohle-Abbaugebiet. Damit endet ein mehr als hundertjähriges Kapitel erfolgreicher Industriegeschichte im großen Dreieck zwischen Aachen, Mönchengladbach und Köln. Es war die Kohle, die die Region zum ökonomischen Powerhaus gemacht hat, die Grundlage für Chemie-industrie, Fahrzeug- und Maschinenbau, für gut bezahlte und sichere Jobs auch in kleinen Betrieben, bei Zulieferern und Dienstleistern. 2030, so ist es beschlossen, wird der Stecker gezogen. Und dann?

Die Frage stellen sich vor allem die kleinen und mittleren Betriebe, sogenannte KMU, die rund um die tradierten Großbetriebe entstanden sind. Sie sind ökonomisch zu wenig bedeutsam, als dass sie mit spektakulären öffentlichen Finanzspritzen rechnen können. Sie werden – wenn nichts passiert – einen leisen Tod sterben. Also müssen sie auf ihre eigenen Kräfte und ihre Flexibilität vertrauen. Und auf ihre Zuversicht.

Daran fehlt es Meike Jungbluth und Elisabeth Clausen kaum. Jungbluth führt seit etwa zehn Jahren die Geschäfte der Roskopf-Unternehmensgruppe, eines auf Schütt-Technik spezialisierten Industriedienstleisters. Clausen ist Lehrstuhlinhaberin an der RWTH Aachen und leitet – als erste Frau – eines der weltweit renommiertesten Bergbauinstitute.

Gestalten – nicht erdulden 

So unterschiedlich die beiden jungen Frauen sein mögen – hier die handfeste Chefin eines mittelständischen Industriebetriebs, dort die Vertreterin einer hochkomplexen Ingenieurwissenschaft –, es eint sie die Vorstellung, das Ende des Kohlezeitalters kreativ zu nutzen und den erzwungenen Strukturwandel nicht zu erdulden, sondern ihn erfolgreich zu gestalten. Sie initiierten die Gründung von „Mine ReWIR“, einem im Oktober vergangenen Jahres aus der Taufe gehobenen Verein der Zulieferer und Dienstleister der Kohleindustrie im Rheinischen Revier. Das selbstbewusste Motto: „Die Kohle geht, die Kompetenzen bleiben.“ Bislang haben sich rund 50 regionale Unternehmen in dem Bündnis zusammengefunden, dem auch die IHK Aachen, betroffene Kommunen und andere Akteure beigetreten sind.

Die Kohle geht, die Kompetenzen bleiben.
Motto des vereins „Mine ReWIR“

Mehr als 350 Firmen insgesamt hat eine Studie der RWTH identifiziert, die ganz oder in großen Teilen vom Bergbau im Revier abhängig sind. Die Wissenschaftler haben die Kompetenzen dieser Betriebe geclustert und unterschiedlichen Kompetenzfeldern zugeordnet. Die Spanne reicht dabei von klassischen Ingenieurleistungen über Fördertechnik und Wasserwirtschaft bis zur Rekultivierung. Obwohl viele der Unternehmen schon jahrzehntelang für den Energieriesen RWE als Dienstleister oder Zulieferer gearbeitet haben, gibt es untereinander kaum eine Vernetzung. Man kennt sich vielfach gar nicht oder allenfalls dem Namen nach.

Mehr als 350 Firmen insgesamt hat eine Studie der RWTH identifiziert, die ganz oder in großen Teilen vom Bergbau im Revier abhängig sind. Die Wissenschaftler haben die Kompetenzen dieser Betriebe geclustert und unterschiedlichen Kompetenzfeldern zugeordnet. Die Spanne reicht dabei von klassischen Ingenieurleistungen über Fördertechnik und Wasserwirtschaft bis zur Rekultivierung. Obwohl viele der Unternehmen schon jahrzehntelang für den Energieriesen RWE als Dienstleister oder Zulieferer gearbeitet haben, gibt es untereinander kaum eine Vernetzung. Man kennt sich vielfach gar nicht oder allenfalls dem Namen nach.

Hier setzt „Mine ReWIR“ an. Meike Jungbluth und Elisabeth Clausen sind davon überzeugt, dass die kleinen Firmen im Schatten der großen Bagger nur dann eine Chance haben, neue Geschäftsfelder zu entwickeln oder innovative Produkte anzubieten, wenn sie sich zu einem Netzwerk zusammenschließen. Einzeln sind sie selten imstande, parallel zu ihrem Alltag an Innovationen zu arbeiten. Mit Unterstützung durch die Expertise der Aachener Hochschule soll das nun möglich und forciert werden.

Ein Zauberwort darf natürlich nicht fehlen: Digitalisierung. Meike Jungbluth sieht hier ein erhebliches Potenzial, um Prozesse zu optimieren und Innovationen anzustoßen. Allein würden sich die kleineren Betriebe überheben, in einem kooperativen Netzwerk wäre es eine überlebenssichernde Hilfe. Gleiches gilt für die Einrichtung von digitalen Werkstätten und Reallaboren. Spartenübergreifend sollen Fähigkeiten und Kenntnisse gebündelt und weiterentwickelt werden. Eine denkbare Hürde halten Clausen und Jungbluth für überwindbar: Eine Trennlinie zwischen der höchst konkreten Welt der Blaumänner und der sterilen Welt der Labors und Hörsäle. Das werde sich, falls es auftritt, schnell legen, weil der Vorteil einer solchen Verbindung schnell zutage trete. Auch andere der vielen in der Region beheimateten Forschungseinrichtungen will das Netzwerk als Partner gewinnen.

Großes Netzwerk der RWTH 

Bewegender Moment: Im Dezember 2018 trägt ein Bergmann den letzten geförderten Brocken Steinkohle aus der Zeche Prosper Haniel in Bottrop. 2030 soll auch mit der Braunkohle Schluss sein.

Dabei hat die RWTH Aachen den Vorteil weltweiter Bekanntheit und Zugang zu einem dicht geknüpften internationalen Netz ähnlich ausgerichteter Forschungsstätten – was dem Revier gerade bei seinem Transformationsprozess nutzt. Denn die Aachener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kümmern sich seit jeher neben der Grundlagenforschung um praxistaugliche Projekte. Das reicht vom hochkomplexen Tiefseebergbau bis zur Nutzbarmachung von Informationen zur Prozessüberwachung mithilfe von Sensortechnik bei der Rohstoffgewinnung. Dem Eindruck, Bergbau sei ein Auslaufmodell, widerspricht Elisabeth Clausen klar: Bergbau selbst in Deutschland sei jenseits der Kohle absolut kein Auslaufmodell, er verändere sich und werde weniger sichtbar. Auch sei Deutschland einer der größten Exporteure von Bergbaumaschinen. Kein uninteressanter Aspekt also für die Zukunft des Reviers.

Jede Region kämpft für sich

Bei aller Begeisterung für Vernetzung und Kooperation – mit den anderen, kleineren Braunkohlerevieren wie der Lausitz oder dem Mitteldeutschen Revier pflegt „Mine ReWIR“ kaum Austausch. Zu weit weg, zu verschieden, man hat sich gegenseitig einfach nicht so richtig auf dem Schirm. Auf Hochschulebene ist das etwas anders, Aachen und die traditionsreiche sächsische TU Freiberg zum Beispiel begegnen sich fachlich fast zwangsläufig. Aber weitergehende Kooperationen gibt es nicht, da kämpft dann doch jede Region für sich.

Für Meike Jungbluth und Elisabeth Clausen bedeutet das allerdings gerade nicht einen Kampf um Subventionen und staatliche Hilfen. Sondern eine Besinnung auf eigene Kräfte, eigene Ideen. Die Zukunft der Industrieregion tief im Westen, so ihre Vision, ist eine, in der mit innovativen Angeboten in den Geschäftsfeldern wie der Rohstoffgewinnung, der Kreislaufwirtschaft und der Energiegewinnung Wohlstand geschaffen und erhalten wird. Getragen von einem Geflecht flexibler, kreativer und leistungsstarker Mittelständler, die frei nach Erich Kästner erkannt haben: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.

Michael Hirz ist Journalist und Moderator. Von 2008 bis 2018 leitete er den Politiksender Phoenix. Heute schreibt er als Autor verschiedener Zeitungen und Magazine.

Michael Hirz ist Journalist und Moderator. Von 2008 bis 2018 leitete er den Politiksender Phoenix. Heute schreibt er als Autor verschiedener Zeitungen und Magazine.

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