Carl Melchior

Fundstück

Mit einer großen Geste

„Lieber und sehr verehrter Freund, […] das letzte Kabinett, dem Sie und der Reichskanzler das Gepräge gaben, […] hatte eine neue politische Richtung eingeschlagen. Gegenüber dem früheren Standpunkt, dass man die Reparationsverpflichtungen nicht oder nur unter sehr weitgehenden, eine Abänderung des Friedensvertrags bedingenden Voraussetzungen erfüllen könne, war das Programm der Erfüllung getreten. […] Nur so konnte erhofft werden, eine andere Stimmung bei den massgebenden alliierten Staaten zu erzeugen. Das Gelingen dieser Politik hing aber davon ab, dass das Kabinett Wirth/Rathenau von den Alliierten gestützt und dass ihm insbesondere in den beiden grossen Fragen Oberschlesien und Sanktionen ein Erfolg gegönnt wurde. Das ist nicht geschehen. […] Es war nach meiner Meinung für die richtige aussenpolitische Wirkung erforderlich, dass die beiden Männer, die die Exponenten des bisherigen Kabinetts waren, mit einer grossen Geste vor die Welt traten, um ihr darzulegen, dass sie den ehrlichen Willen gehabt hätten, die letzten Kräfte des deutschen Volkes zur Erfüllung der Reparationsverpflichtung wachzurufen, dass aber die Alliierten selbst diese Politik zerbrochen hätten. Diese Geste liess sich aber mit einem Verbleiben im Amt nicht vereinigen.“

Aus einem Brief Carl Melchiors an Walther Rathenau vom 1. November 1921, Stiftung Warburg Archiv

Fundstück

Mit einer großen Geste

Carl Melchior

„Lieber und sehr verehrter Freund, […] das letzte Kabinett, dem Sie und der Reichskanzler das Gepräge gaben, […] hatte eine neue politische Richtung eingeschlagen. Gegenüber dem früheren Standpunkt, dass man die Reparationsverpflichtungen nicht oder nur unter sehr weitgehenden, eine Abänderung des Friedensvertrags bedingenden Voraussetzungen erfüllen könne, war das Programm der Erfüllung getreten. […] Nur so konnte erhofft werden, eine andere Stimmung bei den massgebenden alliierten Staaten zu erzeugen. Das Gelingen dieser Politik hing aber davon ab, dass das Kabinett Wirth/Rathenau von den Alliierten gestützt und dass ihm insbesondere in den beiden grossen Fragen Oberschlesien und Sanktionen ein Erfolg gegönnt wurde. Das ist nicht geschehen. […] Es war nach meiner Meinung für die richtige aussenpolitische Wirkung erforderlich, dass die beiden Männer, die die Exponenten des bisherigen Kabinetts waren, mit einer grossen Geste vor die Welt traten, um ihr darzulegen, dass sie den ehrlichen Willen gehabt hätten, die letzten Kräfte des deutschen Volkes zur Erfüllung der Reparationsverpflichtung wachzurufen, dass aber die Alliierten selbst diese Politik zerbrochen hätten. Diese Geste liess sich aber mit einem Verbleiben im Amt nicht vereinigen.“

Aus einem Brief Carl Melchiors an Walther Rathenau vom 1. November 1921, Stiftung Warburg Archiv

Der liberale Sachverständige

Vor 150 Jahren wurde Carl Melchior geboren. Der jüdische Bankier, Mitglied der liberalen DDP, setzte seinen Sachverstand über Jahrzehnte dafür ein, die Bürde des Versailler Vertrags erträglich zu machen.

TEXT: KAREN KORN

Ende Oktober 1921 zog sich die liberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) aus der Regierung zurück. Es war das Ende des ersten Kabinetts von Reichskanzler Joseph Wirth, mit Walther Rathenau als Wiederaufbauminister. Anlass war die Teilung Oberschlesiens infolge eines Beschlusses der Pariser Botschafterkonferenz. Unter dem Ansturm der Kritik bat Rathenau seinen Parteifreund Carl Melchior um Argumentationshilfe – die dieser in einem langen Brief lieferte.

Carl Melchior, vor 150 Jahren geboren, am 13. Oktober 1871, war Jurist, Syndikus und Teilhaber der Privatbank M.M. Warburg & Co. Er diente als stellvertretender Vorsitzender der Friedensdelegation, die in Versailles erfolglos darum rang, zu den Bedingungen des von den Alliierten aufgesetzten, als Schmach und ökonomische Zumutung empfundenen Friedensvertrags gehört zu werden. Melchior sah in dem Vertrag die Wurzel neuen Unheils. Er mühte sich über viele Jahre in immer neuen Reparationsverhandlungen, die Bürde für Deutschland erträglich zu machen.

Die Ernte seiner Bemühungen konnte Melchior auf der Lausanner Konferenz einfahren, die er mit vorbereitet hatte: das Erlöschen der Reparationspflichten. Dieses Jahr seines größten Erfolgs, 1932, markierte indes zugleich den Vorabend des dunkelsten Kapitels Deutschlands. Am 30. Januar 1933 wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt, im Februar brannte der Reichstag, im März wurde die NSDAP stärkste Partei. Aller Ämter enthoben, krank und in tiefer Sorge, starb der verdiente Liberale Carl Melchior am 30. Dezember 1933 in Hamburg.

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