Afghanistan

Nichts ist gut in Afghanistan

Die Taliban haben den Krieg gewonnen und beherrschen das Land wieder. Jetzt bauen China, Russland und die Türkei ihren Einfluss aus. Schlechte Aussichten für die Menschenrechte.

TEXT: ALEXANDER GÖRLACH

Afghanistan

Nichts ist gut in Afghanistan

Die Taliban haben den Krieg gewonnen und beherrschen das Land wieder. Jetzt bauen China, Russland und die Türkei ihren Einfluss aus. Schlechte Aussichten für die Menschenrechte.

TEXT: ALEXANDER GÖRLACH

Nichts ist gut in Afghanistan.“ Mit dieser Kritik am Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch handelte sich Margot Käßmann, damals noch Bischöfin in Hannover, viel Ärger und Kritik ein. Der Satz, vor elf Jahren in einer Neujahrspredigt gesprochen, hat freilich nichts von seiner Aktualität verloren. Heute ist nichts gut in Afghanistan nach der kampf- und bedingungslosen Rückeroberung des Landes durch die Taliban, die man eigentlich durch den Einsatz hatte vertreiben wollen, und angesichts der jüngsten Attacken des afghanischen Ablegers des IS-K, die womöglich einen islamistischen Bürgerkrieg ankündigen.

Willfährige Partner

Nichts ist gut nach dem chaotischen Abzug der westlichen Truppen und angesichts der nunmehr höchst fraglichen Rettung der noch verbliebenen Hilfskräfte. Und nichts ist gut daran, dass sich nun Diktaturen und Autokratien wie die Volksrepublik China, Russland und die Türkei anschicken, sich im Land festzusetzen und dort ihre Interessen zu verfolgen. Das Botschaftspersonal dieser Staaten ist in Afghanistan geblieben, als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter westlicher Vertretungen aus begründeter Angst um Leib und Leben das Land überhastet verlassen mussten.

Chinas Außenminister Wang Yi hat sich bereits Ende Juli mit Vertretern der Taliban getroffen, um die Parameter der künftigen Zusammenarbeit abzustecken. Die Taliban sind willfährige Partner, denn sie brauchen Geld und Unterstützung. China treibt dabei Verschiedenes um. Zum einen ist da die gemeinsame Grenze mit Afghanistan, die keine 80 Kilometer lang ist, aber an der, wie die Regierung in Peking sie nennt, die Unruheprovinz Xinjiang liegt. Dort hält China rund eine Million Uiguren aufgrund ihrer Kultur und Religion – sie sind Muslime – in Konzentrationslagern gefangen und unterzieht sie einer Gehirnwäsche, genannt „Umerziehung“. Sie sollen ihren Glauben aufgeben und sich „sinisieren“, also zu „echten“ Chinesen kolonisieren lassen. Da liegt es auf der Hand, dass man in der Volksrepublik Vergeltung aus dem benachbarten islamistischen Gottesstaat fürchtet.

Die Taliban haben im Gegenzug für Investitionen in ihrem Land versprochen, dass von ihrem Territorium kein Terror gegen China ausgeht. Dass es neben Terror andere Möglichkeiten gäbe, etwas für die bedrängten Glaubensgeschwister nebenan zu tun, scheint nicht zu interessieren. In ihrer Ablehnung der Menschenrechte jedenfalls sind sich die Gottlosen von Peking und die Theokraten von Kabul einig.

In der Ablehnung der Menschenrechte sind sich die Gottlosen von Peking und die Theokraten von Kabul einig.

ALEXANDER GÖRLACH

In der Ablehnung der Menschenrechte sind sich die Gottlosen von Peking und die Theokraten von Kabul einig.

ALEXANDER GÖRLACH

Rohstoffreichtum lockt

Zum anderen führt nahe der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan eine wichtige Trasse der Neuen Seidenstraße entlang, ebenjenes des gigantischen Investitionsprojektes, das der Volksrepublik bei ihrer wirtschaftlichen und militärischen Expansion dienen soll. Die Neue Seidenstraße verläuft über die ganze Welt, auch nach Europa hinein. Ein instabiles Afghanistan, wenige Kilometer von der Grenze entfernt, könnte die Milliardeninvestitionen gefährden. Auch deshalb versucht es Peking mit der Annäherung an die Taliban.

Nicht zuletzt verfolgt China in Afghanistan auch unmittelbar eigene Interessen. Bereits vor zehn Jahren sicherte sich die Volksrepublik Bohrrechte an zwei Ölfeldern. Man erhofft sich ferner, perspektivisch, die Möglichkeit, in Afghanistan Lithium und Seltene Erden zu fördern, um so im globalen Kampf um seltene Materialien ein Faustpfand gegen die Vereinigten Staaten und die EU in der Hand zu haben. Es gibt kein Handy und keinen LED-Bildschirm auf der Welt, die ohne diese Rohstoffe produziert werden könnten. Zudem ist Afghanistan reich an Gold und Silber, auch Marmor kann dort gebrochen werden. Im Moment winken viele Experten ab: zu unwegsam das Gelände, zu komplex die Förderbedingungen. Aber das Regime in Peking denkt in Dekaden und lässt sich von Hindernissen, die es in der Zukunft aufgrund technologischen Fortschritts nicht mehr geben mag, nicht abschrecken.

Wo China einen Fuß in die Tür bekommt, will freilich auch Russland mitsprechen können. China und Russland waren sich jüngst nähergekommen; sie hielten gemeinsame Manöver ab. Der „Volksbefreiungsarmee“, wie Chinas Armee genannt wird, fehlt, da sind sich Experten einig, die Praxiserfahrung, um in einem Krieg gegen die USA, etwa um den demokratischen Inselstaat Taiwan, gewinnen zu können. Die gemeinsamen Manöver helfen China, dieses Manko zu beheben.

Russland ist bereits seit Jahren in Kontakt mit den Taliban. Die Regierung in Moskau ist nun auch willens, das neue afghanische Regime als legitim anzuerkennen. Im Kreml sieht man den unkoordinierten Abzug der amerikanischen Truppen mit Genugtuung und feixt, dass die Bilder an Dramatik die vom Rückzug Amerikas aus Saigon noch überträfen. Russland hat seine eigene Erfahrung mit dem Versuch gemacht, Afghanistan einzunehmen. Aus Moskaus Sicht war der Einsatz der westlichen Truppen von jeher zum Scheitern verurteilt.

Die Türkei wiederum, das einzige NATO-Mitgliedsland mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit, hofft ebenfalls darauf, im neuen Afghanistan eine Rolle spielen zu können. Auch hier hat man Interesse an den Bodenschätzen, will aber darüber hinaus in geopolitischen Fragen konsultiert werden und maßgeblich mitsprechen können. So hat auch Präsident Erdogan den Machtwechsel in Kabul gutgeheißen. Es sind nur 500 türkische Soldaten im Land. Ankara hat unter anderem mit Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten den teilweise zerstörten Flughafen in Kabul wieder aufgebaut.

Im Kreml sieht man den unkoordinierten Abzug der amerikanischen Truppen mit Genugtuung.

ALEXANDER GÖRLACH

Im Kreml sieht man den unkoordinierten Abzug der amerikanischen Truppen mit Genugtuung.

ALEXANDER GÖRLACH

Verlust der Menschenrechte

Die westlichen Truppen waren nicht mit Förder- und Drillgerät für Bodenschätze angerückt, sondern hatten Menschenrechtler, Demokratie- und Bürgerrechtsaktivistinnen in ihrer Entourage. Sie schützten in den vergangenen zwanzig Jahren das Land, um dort den Aufbau einer Zivilgesellschaft zu ermöglichen. Doch Frauenrechte, Meinungsfreiheit, Schulbesuch für Mädchen – all das ist nun verloren oder wird Stück für Stück wieder abgebaut werden. Es bleibt abzuwarten, wie gewalttätig die Taliban dabei vorgehen werden. Die neuen Alliierten Kabuls in Peking, Moskau und Ankara werden dabei keine Anwälte der Zivilgesellschaft sein. Wie wenig China sich für Menschenrechte interessiert, sieht man nebenan in der Provinz Xinjiang.

Angesichts dieses Ausblicks ist nichts gut in Afghanistan, wirklich nichts. In der Rückschau waren der Einsatz der Bundeswehr und insgesamt das Engagement der westlichen Truppen, die Freiheit und Menschenrechte an den Hindukusch brachten, das Beste, was den Afghaninnen und Afghanen in der jüngeren Vergangenheit passiert ist.

Alexander Görlach

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs in New York. 2021 erschien sein Buch „Demokratie“ (Reclam).

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