GLEICHBERECHTIGUNG
Fränzi Kühne ist Gründerin der ersten deutschen Social-Media-Agentur und Digitalchefin beim Stiftehersteller Edding. 2021 erschien ihr Buch „Was Männer nie gefragt werden“. Ein Gespräch über Stereotype, verhinderten Fortschritt, Fehler im Kindergarten und Olaf Scholz’ Schlabberpulli.
TEXT: KIRA BRÜCK
GLEICHBERECHTIGUNG
Fränzi Kühne ist Gründerin der ersten deutschen Social-Media-Agentur und Digitalchefin beim Stiftehersteller Edding. 2021 erschien ihr Buch „Was Männer nie gefragt werden“. Ein Gespräch über Stereotype, verhinderten Fortschritt, Fehler im Kindergarten und Olaf Scholz’ Schlabberpulli.
TEXT: KIRA BRÜCK
Frau Kühne, für Ihr Buch haben Sie 20 Männern Fragen gestellt, die normalerweise nur Frauen zu hören bekommen – darunter dem früheren Außenminister Heiko Maas, dem Werber Jean-Remy - von Matt und dem ehemaligen Siemens-CEO Joe Kaeser. Was hat Sie am meisten überrascht?
Dass unglaublich gute Gespräche zustande kamen. Ich habe mit absurden Situationen gerechnet. Etwa, dass jemand entsetzt auflegt. Die Männer haben aber ausführlich und ernsthaft meine Fragen beantwortet. Sie mussten Männern dringend gestellt werden.
Welche Antwort hat Sie am meisten berührt?
Die Frage war „Wie bringen Sie Familie und Karriere unter einen Hut?“. Joe Kaeser sagte: „Es gibt Dinge, die hängen mir nach, Sachen, die ich verpasst hab, die unwiederbringlich sind. Der erste Schultag der älteren Tochter zum Beispiel, da war ich nicht da. Ich weiß nicht einmal, wo ich war, aber ich war nicht da. Das kannst du ja überhaupt nicht bringen.“ Kaeser schaute im Gespräch zum Boden, rieb sich die Stirn und wirkte sehr betroffen.
Warum werden Frauen nach so etwas eher gefragt?
Weil sie in vielen Positionen noch immer Exotinnen darstellen. Ich werfe den Journalistinnen und Journalisten vor, dass sie durch das Betonen dieser Ausnahme Stereotype reproduzieren. Es müsste viel mehr Normalität und Gleichbehandlung in der Berichterstattung geben.
Männer bekommen Fachfragen -gestellt, Frauen sollen über ihr Frausein Auskunft geben.
Genau. Männer sollen die Welt erklären und wie die Zukunft aussieht. Frauen hingegen müssen beweisen, dass sie für ihre Position qualifiziert sind. Bei Männern erscheint das Erreichen der Position schon als Beweis für ihre Qualifikation.
Männer sollen die Welt erklären und wie die Zukunft aussieht. Frauen müssen hingegen beweisen, dass sie für ihre Position qualifiziert sind. Bei Männern erscheint das Erreichen der Position schon als Beweis ihrer Qualifikation.
„Was haben Sie in Ihrem Koffer?“ – das klingt nach Frauenmagazin!
Stimmt, nur hat die Frage „Die Zeit“ gestellt. Ich finde Fragen zu Äußerlichkeiten legitim. Aber mir geht es um die ungleiche Verteilung. Männer werden nie gefragt, warum sie heute den dunkelblauen Anzug tragen.
Es wurde viel über den grauen Schlabberpulli von Bundeskanzler Olaf Scholz geredet, den er auf dem Flug zu seinem Antrittsbesuch in den USA trug.
Ja, es ändert sich etwas! Und es ist doch schön, auch mal über des Kanzlers Pullover zu sprechen. Wobei ich sagen muss: Menschen über ihr Aussehen oder ihr Outfit zu definieren, ist grundsätzlich falsch. Egal bei wem.
Sollten Frauen nicht öfter zurückkeilen?
Klar, kann man das machen, wenn die Gesprächssituation passt. Mir ist aber immer daran gelegen, die Atmosphäre nicht zu vergiften. Ich tue mich auch schwer damit, Frauen zu raten, in solchen Momenten „Habt ihr sie denn noch alle, mich so etwas zu fragen?!“ zu entgegnen. Bei diesen „Frauen, wehrt euch!“-Parolen kommen häufig ganz komische Sachen heraus.
Wie reagieren Sie also bei unpassenden Fragen?
Auf keinen Fall pampig oder zickig. Ich beantworte die Frage einfach so, wie es ist.
Was braucht es, damit Frauen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ernster genommen werden?
Es muss viel mehr zur Normalität werden, dass beispielsweise Annalena Baerbock eine ernst zu nehmende Ministerin ist. Genau solche Vorbilder braucht es. Weil Frauen dann keine Ausnahme mehr sind. Momentan sind sie das aber noch.
Warum ist in vielen Führungsetagen nicht angekommen, dass Diversität Unternehmen guttut und sogar zu mehr Erfolg führt?
Die Führungsetagen haben es verstanden, da bin ich mir sicher. Die Veränderung tatsächlich zu akzeptieren, hat aber in allerletzter Konsequenz etwas damit zu tun, dass Männer Macht abgeben müssen. Dazu sind sie nicht bereit, sie wollen die eigene Komfortzone nicht verlassen. Das verhindert Fortschritt und verlangsamt Veränderungen.
Fränzi Kühne wurde 1983 in Berlin-Pankow geboren. Sie brach 2008 ihr Jura-Studium ab, um mit zwei Freunden TLGG zu gründen, die erste Social-Media-Agentur in Deutschland. Seit 2017 sitzt sie in den Aufsichtsräten der Freenet AG und der Württembergischen Versicherung AG – und seit Anfang März ist sie Digitalchefin bei Edding. Kühne lebt mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Berlin.
Fränzi Kühne wurde 1983 in Berlin-Pankow geboren. Sie brach 2008 ihr Jura-Studium ab, um mit zwei Freunden TLGG zu gründen, die erste Social-Media-Agentur in Deutschland. Seit 2017 sitzt sie in den Aufsichtsräten der Freenet AG und der Württembergischen Versicherung AG – und seit Anfang März ist
sie Digitalchefin bei Edding. Kühne lebt mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Berlin.
Die Soziologin Doris Mathilda -Lucke sagte in einem Gespräch mit der „FAZ“, dass es mehr Frauen in der Politik gebe, sei ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Macht längst in Richtung Technologie und Wirtschaft abgewandert sei – wo sich so gut wie keine Frauen fänden.
Sie hat recht, die Machtverhältnisse verschieben sich. Dass zu wenig Frauen in den technischen Berufen und der Gründerszene vertreten sind, hat schon mit der Erziehung im Kindergarten zu tun. Da sollen die Mädchen in die Spielküche gehen, und die Jungs machen die Weltraum-Ecke unsicher. Der große Hebel wäre, dass sich Frauen mehr für Technik interessieren.
Das „Manager Magazin“ titelte jüngst: „Kulturkampf in den Unternehmen: Wie die Quote weibliche Karrieren beschleunigt und männliche jäh beendet“.
Das hat mich angesprochen, die Ausgabe habe ich mir gekauft. Frauen kommen durch die Quote an Positionen und bringen die gute alte Welt der Männer ins Wanken. Sie sind im ersten Moment ein Störfaktor.
Dabei waren Sie einmal eine Gegnerin der Frauenquote.
Ja, weil ich dachte: „Was habt ihr denn alle?! Man kommt doch durch Leistung weiter.“ Aber dann realisierte ich, dass Gleichbehandlung in den meisten Unternehmen nicht selbstverständlich ist. Es gab keinen natürlichen Impuls, das zu ändern. Deshalb brauchte es ein Instrument, das Frauen in bestimmte Positionen vorrücken lässt. Heute denke ich: Dass Frauen durch die Quote nach oben kommen, ist blöd. Ich wünsche mir, dass sie irgendwann nicht mehr notwendig ist.
Wie lange wird es noch dauern, bis die Macht in der Wirtschaft weiblicher wird?
Die AllBright Stiftung hat herausgefunden, dass die Veränderungsgeschwindigkeit der zurückliegenden fünf Jahre positiv zu bewerten ist. Wenn wir so weitermachen, sind wir in zehn Jahren bei 50:50 bei der Besetzung der Vorstandspositionen. Das klingt für mich supergut.
Kira Brück ist freie Journalistin. Sie schreibt über Wirtschafts-, Kultur- und Gesellschaftsthemen, unter anderem für „Spiegel-Online“ und für „Die Welt“. Sie lebt in Berlin.
Kira Brück ist freie Journalistin. Sie schreibt über Wirtschafts-, Kultur- und Gesellschaftsthemen, unter anderem für „Spiegel-Online“ und für „Die Welt“. Sie lebt in Berlin.
Der Schweizer Journalist und ehemalige Verlags-Vorstand Frank A. Meyer über seine Wahlheimat Berlin, politischen Freisinn, gekaperte Demonstrationen und den Reiz des Kapitalismus.
Vor 230 Jahren erschien eine unerhörte Schrift: Mary Wollstonecrafts „A Vindication of the Rights of Woman“. Es war ein Plädoyer für Freiheit, Bildung und Emanzipation. Eine wichtige Lektüre bis heute.
Nicole Grünewald ist Geschäftsführende Gesellschafterin der Kölner Werbeagentur „The Vision Company“. 2020 wurde sie zur ersten Präsidentin der Industrie- und Handelskammer zu Köln gewählt.