YOUTUBE-STAR

Graf Zahl

Alle lieben „Lehrerschmidt“. Seine Lehrvideos auf YouTube werden täglich bis zu 250 000-mal geklickt. Wer ist dieser Mann, der Mathe so erklärt, dass es alle verstehen?

TEXT: JO BERLIEN

YOUTUBE-STAR

Graf Zahl

Alle lieben „Lehrerschmidt“. Seine Lehrvideos auf YouTube werden täglich bis zu 250 000-mal geklickt. Wer ist dieser Mann, der Mathe so erklärt, dass es alle verstehen?

TEXT: JO BERLIEN

Der Mann ist das, was man einen Gebrauchs-YouTuber nennt. Andere zeigen, wie man die Wärmepumpe einer Spülmaschine austauscht. Oder an der Deckenleuchte Phase Schutz- und Nullleiter auseinanderhält. Kai Schmidt hat ein ähnlich wenig aufregendes Thema: Mathe. Aber während der Handwerker auf 400 Aufrufe kommt, schafft Schmidt Millionen von Klicks. „Lehrerschmidt“ ging 2015, lange vor der Influencer- und Instagram--Welle, an den Start. Inzwischen ist „Lehrerschmidt“ eine Marke. Kai Schmidt ist ein YouTube-Star. Im Interview mit dem „Zeit-Magazin“ sagt er: „Ich bin ein völlig durchschnittlicher Lehrer.“ Das ist norddeutsches Understatement und klingt, gemessen an seinem Erfolg, ein wenig kokett. Tatsächlich aber ist er weder ein Nerd noch einer, der alles besser weiß und anders machen will. Schmidt, 42 Jahre alt, verheiratet mit einer Deutschlehrerin, Vater eines sieben Jahre alten Jungen, ist Leiter einer Haupt- und Realschule im niedersächsischen Uelsen, 15 Autominuten von der niederländischen Grenze entfernt.

Wie wird so einer zum YouTuber? Zufällig. Schmidt suchte gar nicht die Öffentlichkeit. „Ich habe damals festgestellt, dass es die Videos, die ich für meine Lerngruppen brauchte, nicht gibt.“ Also hat er sie selber gemacht und innerhalb geschlossener Lerngruppen geteilt. Es waren Schüler, die seine die Videos ins Netz stellten. Karopapier, eine Hand und ein Stift, dazu die Erzählstimme aus dem Off: Die frühen Videos sind in der Ausstattung simpel. So was sollte doch jeder hinbekommen, meint man. Tatsächlich aber ist das Einfache schwer, Kai Schmidt König des guten Vereinfachens und ein Lehrer wie aus dem Lehrbuch. Die Stimmlage ist angenehm, die Aussprache deutlich. Der Mann verfügt über ein einnehmendes Wesen, aber auch Autorität. „Und ich kann unfassbar laut reden“, sagt er und lacht. Er lacht häufig. Ein Gute-Laune-Mann. Einer, der liebt, was er tut.

Man muss sich als Lehrkraft im Klaren sein: Ich werde tagein, tagaus und bis zur Rente Pubertät um mich haben.

KAI SCHMIDT, MATHE-LEHRER

Jedes Kind kann eine gute Lehrkraft von einer mittelmäßigen unterscheiden. Schmidt ist sehr gut mit Sternchen. Er weiß, wie er sein Publikum kriegt. Im besten Fall hievt er sie von Note fünf auf eine drei. Vor allem schafft er es, dass sich Kinder wie Erwachsene auf den Lernstoff einlassen. Für Kai Schmidt ist das eine Frage der Leidenschaft: „Für die einen ist es Berufung, für andere Beruf. Bei wohl keinem anderen Job dieser Welt macht dies den Unterschied so sehr aus wie beim Beruf des Lehrers.“ Wenn Geistes- oder Naturwissenschaftlerinnen oder -wissenschaftler mangels Perspektive den Notausgang Lehramt wählten, meint Schmidt, sei das „vielleicht kein so guter Weg“. Die Pointe: Er selbst war urprünglich Bankkaufmann. „Ich habe jeden Tag im Beruf gehasst“, sagt Schmidt. Dann wurde er Lehrer.

Aber was macht eine gute Lehrkraft aus? Kai Schmidt sagt: „Man muss eine Affinität haben und sich im Klaren sein: Ich werde tagein, tagaus und bis zur Rente Pubertät um mich haben. Zweitens: Resilienz! Also: Man muss das aushalten. Ich kann mit einem sehr hohen Prozentsatz sagen, dass ich jeden Morgen glücklich zur Schule gehe.“ In der Pandemie, als die Schulen geschlossen waren und Lehrkräfte Wochenpläne mailten, die Eltern ausdrucken sollten, erreichten Schmidts Videos bis zu 400 000 Aufrufe am Tag. Mütter und Großeltern schickten kopierte Arbeitsblätter und eingescannte handschriftliche Notizen: Herr Schmidt, wie geht das, warum stimmt das Ergebnis hier nicht?

Mathe-Lehrer Kai Schmidt bei der Produktion eines seiner beliebten Erklär-Videos.

Mathe-Lehrer Kai Schmidt bei der Produktion eines seiner beliebten Erklär-Videos.

Ideen für weitere Videos kamen frei Haus. Schmidt erweiterte den Stoff und den Kreis an Abonnenten. Heute erhält er auch Post von Erwachsenen, die auf dem zweiten Bildungsweg Abitur machen oder die Meisterschule besuchen. Schmidt erklärt Trigonometrie, die PQ-Formel zum Lösen quadratischer Gleichungen und was Eltern tun können, wenn das Kind keinen Bock hat. Er gibt zehn Tipps für eine gute Note. Und entlarvt fünf typische Lehrer-Lügen. Als Kai Schmidt einen Verlag für ein Lehrbuch suchte, bekam er 63 Angebote. Auch die großen Schulbuchverlage wollten ihn haben. Den Auftrag erhielten zwei Start-up-Jungs. „Ich will damit kein Geld verdienen“, sagt Schmidt, der Idealist.

Schmidt berichtet, er erhalte zu 99 Prozent positives Feedback. „Liegt wohl auch daran, dass ich für die Krawallos uninteressant bin.“ Aber gibt es nicht auch Neider? Nachhilfe-Institute, die um ihr Geschäftsmodell fürchten? „Nein. Es haben Institute angefragt, ob sie meine Videos nutzen dürfen“, erzählt er. Durften sie. Aber wenn ihm morgen der NDR oder ein privater TV-Sender einen Sendeplatz anböte? Schmidt winkt ab. Null Interesse. „Ich habe das große Glück, dass mir mein Beruf Spaß macht. Ich suche nichts anderes, ich will nichts anderes.“

Jo Berlien ist Journalist und Vater von Zwillingsmädchen. Während der Pandemie erklärte „Lehrerschmidt“ den Drittklässlerinnen auf YouTube unter anderem das halbschriftliche Dividieren.

Jo Berlien ist Journalist und Vater von Zwillingsmädchen. Während der Pandemie erklärte „Lehrerschmidt“ den Drittklässlerinnen auf YouTube unter anderem das halbschriftliche Dividieren.

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