ANTISEMITISMUS
Die deutsche Antisemitismusdebatte ist ein Scheingefecht von Intellektuellen, die postkolonialen Anliegen Raum geben wollen. Darunter leiden echte Menschen. Es ist Zeit, Antisemitismus ehrlich und umfassend zu bekämpfen.
TEXT: CHRISTOPH GIESA
ANTISEMITISMUS
Die deutsche Antisemitismusdebatte ist ein Scheingefecht von Intellektuellen, die postkolonialen Anliegen Raum geben wollen. Darunter leiden echte Menschen. Es ist Zeit, Antisemitismus ehrlich und umfassend zu bekämpfen.
TEXT: CHRISTOPH GIESA
Es war genau drei Tage nach der Eröffnung der documenta fifteen, als es wieder einmal geschah: Nach einer Veranstaltung zum modernen Antisemitismus, die ich mit dem jüdischen Rapper Ben Salomo an Schulen durchführe, kam ein Mädchen auf uns zu. Sie brachte gerade noch die Worte „Ich bin Jüdin“ über die Lippen, dann brach sie zusammen. Unter Tränen berichtete sie vom täglichen Mobbing durch ihre Mitschüler. Der Bezugspunkt ist nicht der Holocaust, sondern der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Auch die anwesende Lehrerin bestätigte betroffen, dass ein großer Teil der Lehrerschaft gegen dieses Mobbing nichts unternehme.
Dieser Fall ist nur einer von vielen. Die Mobber sind häufig Jugendliche mit arabischer Migrationsgeschichte. Religion kann eine Rolle spielen, muss es aber nicht. Andere Schülerinnen und Schüler schauen weg, wenn es um israelbezogenen Antisemitismus geht. Diversity kommt recht gut ohne den jüdischen Farbklecks aus. Gedeckt wird das von Lehrerinnen und Lehrern, die sich selbst als links oder linksliberal bezeichnen würden. Sie fühlen sich im Recht, auch dank Debatten, wie wir sie rund um antisemitische Kunst auf der documenta fifteen erlebt haben.
Denn Antisemitismus, wenn er postkolonial begründet wird, erscheint vielen deutschen Meinungsführern unproblematisch, weil er eben nicht von rechts kommt. Die Schriftstellerin Eva Menasse etwa schrieb dazu in einem Beitrag für den „SPIEGEL“, sie habe „keine Angst vor zwanzig Jahre alten antisemitischen Karikaturen aus Indonesien, auch nicht vor denen, die sie gewebt oder gemalt haben“. Sie habe Angst „vor den Leuten, die Walter Lübcke auf seiner Veranda erschießen oder versuchen, mit einer Maschinenpistole in eine voll besetzte Synagoge einzudringen“. Was nicht nur sie übersieht: Die Karikaturen aus Indonesien und die Debatte darüber bewegen sich nicht im luftleeren Raum. Sie sorgen für ein ungutes Klima in der Gesellschaft, genauso wie rechte Hetze.
Die Auswirkungen treffen echte Menschen, und zwar in Deutschland. Doch die im Schatten, die sieht man eben nicht im grellen Licht der Debatte über Postkolonialismus. Menasse und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter wissen vermutlich wenig von der Realität jüdischen Lebens. Denn dieses muss jeden Tag mit Übergriffen rechnen. Vor Gotteshäusern. In der Nachbarschaft. An Universitäten. Und auch an Schulen. Was haben wir nicht alles erlebt in den letzten Jahren. Syrische Flüchtlingskinder, die ihren Hass auf Juden formulieren. Kids mit Wurzeln im Libanon, die die islamistische Terrororganisation Hisbollah als „Freiheitskämpfer“ bezeichnen. Hetzvideos, die zum Mord an Juden aufrufen. Bei etwa einem Fünftel unserer Veranstaltungen kommt es zu derlei Vorfällen. Was also tun? Wir müssen endlich eine umfassende Antisemitismuskritik möglich machen. Wir brauchen keine Erklärungen, warum Antisemitismus nicht so schlimm ist, weil er aus dem globalen Süden kommt. Vielmehr müssen öffentliche Räume zum Schutzraum für jüdisches Leben werden. Sichtbarkeit muss für Sicherheit sorgen. Wenn uns das gelänge, hätte das positive Auswirkungen auf viele andere gesellschaftliche Gruppen – und auf die liberale Demokratie an sich.
Christoph Giesa ist Publizist, Moderator und in der politischen Bildung aktiv. Er ist Mitgründer des liberalen Thinktanks „Operation Heuss“.
Christoph Giesa ist Publizist, Moderator und in der politischen Bildung aktiv. Er ist Mitgründer des liberalen Thinktanks „Operation Heuss“.
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