FUNDSTÜCK

Liberalismus der Furcht

Die amerikanische Politologin Judith N. Shklar hat die Idee der Freiheit maßgeblich geprägt. 

TEXT: JUDITH N. SHKLAR


FUNDSTÜCK

Liberalismus der Furcht

Die amerikanische Politologin Judith N. Shklar hat die Idee der Freiheit maßgeblich geprägt. 

TEXT: JUDITH N. SHKLAR

Wo immer Zwangsmittel nicht fern sind – bestehen sie nun in ökonomischer Macht (wie vor allem der Preisfestsetzung oder dem Vermögen, Menschen zu beschäftigen, ihnen Gehalt zu zahlen und sie zu entlassen) oder in militärischer Macht in allen ihren Spielarten –, -ist es die Aufgabe einer liberalen Bürgerschaft, dafür zu sorgen, dass niemand durch auch nur einen einzigen privaten Akteur oder Staatsvertreter eingeschüchtert wird, es sei denn, es geschieht im Rahmen bekannter und anerkannter Rechtsverfahren. Und selbst dann sollten sich die Zwang Ausübenden stets in der Defensive befinden und auf verhältnismäßige und notwendige Handlungen beschränkt sein, die nur als Reaktion auf die von Kriminellen ausgehende Gefahr noch schlimmerer Grausamkeit und Furcht gerechtfertigt sind.

Der Liberalismus der Furcht mag in seiner Konzentration auf die Vermeidung vorhersehbarer Übel radikal konsequenzialistisch scheinen, was er auch ist, wenn er als Richtschnur für die politische Praxis dient; er muss aber jeder Versuchung widerstehen, allgemeine ethische Ratschläge zu erteilen. Es ist nicht die Aufgabe irgendeiner Form des Liberalismus, der Bürgerschaft vorzuschreiben, nach Glück zu streben, geschweige denn, diesen so schwer fassbaren Zustand definieren zu wollen. Es ist an jedem einzelnen von uns, sich um dieses Glück zu bemühen oder es zum Beispiel zu Gunsten von Pflicht, Seligkeit oder Passivität abzulehnen. Der Liberalismus muss sich auf die Politik beschränken und darauf, Vorschläge zur Verhinderung von Machtmissbrauch zu unterbreiten, um erwachsene Frauen und Männer von Furcht und Vorurteil zu befreien, damit sie ihr Leben ihren eigenen Überzeugungen und Neigungen gemäß führen können, solange sie andere nicht davon abhalten, dasselbe zu tun.

FUNDSTÜCK

Keine Angst mehr

Die amerikanische Politologin Judith N. Shklar hat die Idee der Freiheit maßgeblich geprägt. 

TEXT: THOMAS VOLKMANN

Furcht und Pessimismus sind zurück in der -Gesellschaft. Viele diffuse, aber auch manche konkreten Ängste kommen wie eine vom russischen Staatspräsidenten losgetretene Lawine von Konsequenzen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine über die Menschen. Die Angst vor einer Ausweitung des Krieges, vor einem nuklearen Unfall als Kollateralschaden, vor einer finanziellen Überforderung unseres Wirtschaftssystems und unserer Infrastruktur als Folge des Krieges bestimmt Leben und Denken der Menschen auch bei uns – seit Monaten. Die Freiheit, auch die Freiheit von Furcht, die für uns so selbstverständlich geworden war, steht seit dem 24. Februar 2022 infrage, weil das (wie -Judith N. Shklar schreibt) Zwangsmittel militärischer Macht genau diese liberale Selbstverständlichkeit zerstören will. Aber eine freiheitliche Gesellschaft darf sich nicht einschüchtern lassen.

Judith N. Shklar: „Der Liberalismus der Furcht“ Matthes & Seitz Berlin, 3. Aufl. 2020, S. 48 f.

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