WIRTSCHAFTSKOLUMNE
WIRTSCHAFTSKOLUMNE
Diagnose und Therapie! Das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Nirgends kann man dies besser belegen als mit der Geldpolitik. Die war über ein Jahrzehnt expansiv – seit der Weltfinanz- und der Europäischen Schuldenkrise, mit niedrigen Leitzinsen bis hin zu null und zusätzlichem „Quantitative Easing“, also dem massiven Aufkauf von Staatsanleihen, wie er von der Europäischen Zentralbank (EZB) praktiziert wurde. Dies führte zu harscher Kritik in Deutschland, aber nicht zur Inflation, die sich bis 2020 auf niedrigstem Niveau bewegte, eher am Rand der Deflation, sodass mancher Beobachter japanische Verhältnisse in der gesamten westlichen Welt – und allemal in Europa – diagnostizierte.
Aber dann kam Corona mit einem Zerbrechen der weltweiten Wertschöpfungsketten und damit Stockungen beim Angebot von industriellen Gütern und Dienstleistungen. Und es kam danach der aggressive Überfall Putins auf die Ukraine – mit Sanktionen der westlichen Welt und Gegenmaßnahmen Russlands, im Ergebnis jedenfalls mit einem Hochschießen der Energiepreise vor allem bei Öl und Gas. Eine Kostenwelle rollt über die Weltwirtschaft, und die Inflationsraten selbst in den solidesten Volkswirtschaften bewegen sich plötzlich zwischen acht und zehn Prozent.
Klar ist: Die Ursache dafür liegt nicht in einer ruckartigen Veränderung der Geldpolitik, sondern in den Angebotsengpässen, die plötzlich auftreten. Aber diese bringen eine gewaltige Gefahr mit sich: Sie können – über kurz oder lang – durch den Preisschub die Inflationserwartungen an den Arbeitsmärkten massiv nach oben drücken, wegen der erlittenen Realeinkommensverluste. Die Folge: eine Preis-Lohn-Spirale, deren dynamischer Beginn bereits in laufenden Tarifverhandlungen spürbar ist. Damit droht eine Kostenwelle für die private Wirtschaft. Natürlich werden die Unternehmen versuchen, diese Welle auf ihre Kunden abzuwälzen, aber dies wird nur gelingen, wenn der monetäre Rahmen für genug Kaufkraft sorgt. Gerade dies ist aber hochgefährlich, denn es sorgt eben für jene sich selbst verstärkende Spirale der Teuerung, die irgendwann schließlich doch eine scharfe Bremsung nötig macht – und zwar spätestens dann, wenn eine galoppierende Inflation droht.
Dies erklärt das Dilemma der Zinspolitik: Die langjährige EZB-Politik ist in der Diagnose nicht die Ursache der Misere, aber das Schwungrad der Inflation darf in naher Zukunft nicht in Bewegung geraten. Die EZB bleibt eben verantwortlich für die Therapie. Andererseits sollte natürlich eine allzu scharfe Kompression der Unternehmensgewinne vermieden werden, denn die führt schnurstracks in die Rezession. Gleichwohl: Im Zweifelsfalle muss eine Zentralbank – ihrem Auftrag gemäß – der Stabilität den Vorrang einräumen. Und dies tut derzeit die EZB mit ihrer für viele überraschend scharfen Zinserhöhung.
Sie tut es allerdings reichlich spät. Lange (zu lange?) hat sie gezögert – wohl auch mit einem -besorgten Seitenblick auf die Zunahme der Renditen auf Staatsanleihen in den südeuropäischen Ländern, deren Stabilitätskultur noch immer zu wünschen übriglässt. Die US-Notenbank war da schneller – und dies ist abzulesen am Dollarkurs des Euro, der jüngst das niedrigste Niveau seit zwei Jahrzehnten erreichte.
Wie geht das aus? Niemand weiß es. Wir stehen vor unsicheren Zeiten, und zwar nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich.
Karl-Heinz Paqué ist Vorsitzender des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.
Karl-Heinz Paqué ist Vorsitzender des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.
Mehr Agilität und grundlegende Reformen könnten Deutschlands Arbeitsmarkt fit für die Zukunft machen.
„Runaway world“: So bezeichnet Ralf Dahrendorf die Welt in Zeiten der Globalisierung in einem Büchlein, das er im Oktober 2002 in London abschloss, vor genau 20 Jahren.
Diagnose und Therapie! Das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Nirgends kann man dies besser belegen als mit der Geldpolitik.