MUT ZUM AUFBRUCH
Deutschland hat den wirtschaftlichen und technologischen Vorsprung bei der Energiewende zum Teil wieder eingebüßt. Dabei ist klar, was jetzt zu tun ist.
TEXT: OLAF PREUSS
ILLUSTRATIONEN: ANDREA UCINI
MUT ZUM AUFBRUCH
Deutschland hat den wirtschaftlichen und technologischen Vorsprung bei der Energiewende zum Teil wieder eingebüßt. Dabei ist klar, was jetzt zu tun ist.
TEXT: OLAF PREUSS
ILLUSTRATIONEN: ANDREA UCINI
Die einen verwünschen, die anderen verklären die Energiewende. Ohne Vorurteile lässt sich in Deutschland heutzutage kaum noch darüber diskutieren. Dabei ist eine nüchterne Debatte gerade deshalb so wichtig, weil noch einige Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit eine Vollversorgung Deutschlands und Europas mit erneuerbaren Energien gelingen kann. Sie ist grundsätzlich durchaus machbar – allerdings nur dann, wenn die Staaten der Europäischen Union und ihre Nachbarn eng kooperieren.
Die Energiewende kam in Deutschland als weltweit erstem großen Industrieland in den späten Neunzigerjahren in Gang. Mit ihr verbindet sich der Ausstieg aus der Atomkraft und aus den fossilen Energien, der Einstieg in erneuerbare Energien wie die Windkraft und die Solarenergie sowie die Nutzung von Erdwärme und Biomasse.
Den wirtschaftlichen und technologischen Vorsprung, den Deutschland in dieser grünen Transformation anfangs gewann, hat es zum Teil wieder eingebüßt. Die Ursache dafür sind mehrfache energiepolitische Kehrtwenden, schwerwiegende Versäumnisse beim Aufbau eines neuen Energiesystems sowie das Fehlen einer speziellen Industriepolitik mit Blick auf neue Energie-Technologien.
Energiepolitische Versäumnisse
Nach der Vereinbarung der rot-grünen Bundesregierung mit der Energiewirtschaft über den Atomausstieg im Jahr 2000 verlängerte die spätere schwarz-gelbe Koalition 2010 die Laufzeiten der noch verbliebenen Reaktoren wieder. Nur ein Jahr später, nach dem Reaktorunglück im japanischen Fukushima, kehrte sie freilich zum vorherigen Szenario des Atomausstiegs zurück. Dabei hat sie jedoch versäumt, die Energiewende von den besten Köpfen des Landes konstant und strategisch vorantreiben zu lassen.
Das Ergebnis ist kläglich: Bis heute fehlen Speichermedien für die flüchtige „Energieernte“ aus Wind- und Solarkraftwerken. Und auch 25 Jahre nach der Frühzeit der Energiewende gibt es immer noch keine effektive Kombination aus verschiedenen Technologien, keine Kopplung der einzelnen Energiemärkte für Strom, Wärme und Mobilität. „Sektorkopplung“ nennt man heutzutage das, was zuvor zwei Jahrzehnte vernachlässigt worden ist. Die bisherige Energiewende ist tatsächlich eine nahezu reine „Strom-Wende“.
Die Vollversorgung Deutschlands und Europas mit erneuerbaren Energien ist machbar, wenn die EU-Staaten und ihre Nachbarn eng kooperieren.
Die Offshore-Windkraft in der Nordsee und der Ostsee wird nun massiv ausgebaut, auch über Ländergrenzen hinweg. Parallel dazu soll die Kapazität entstehen, die erforderlich ist, um künftig in industriellem Maßstab per Elektrolyse „grünen“ Wasserstoff mithilfe von Ökostrom zu erzeugen – als Massenspeicher für die flüchtigen erneuerbaren Energien, als universell einsetzbaren Energieträger. Einen großen Teil dieses „grünen“ Wasserstoffs werden Deutschland und Europa aus anderen Ländern und Weltregionen zusätzlich importieren müssen. Dazu zählen die sonnenreichen arabischen und nordafrikanischen Staaten, aber auch europäische Länder wie Island mit seinem enormen Potenzial an Erdwärme als Energiequelle für die Elektrolyse, Norwegen mit seiner Wasserkraft sowie Schottland und Dänemark mit ihrer großen Windkraft-Ausbeute an Land und auf See. Sie alle werden künftig „grünen“ Wasserstoff exportieren.
Die Offshore-Windkraft in der Nordsee und der Ostsee wird nun massiv ausgebaut, auch über Ländergrenzen hinweg. Parallel dazu soll die Kapazität entstehen, die erforderlich ist, um künftig in industriellem Maßstab per Elektrolyse „grünen“ Wasserstoff mithilfe von Ökostrom zu erzeugen – als Massenspeicher für die flüchtigen erneuerbaren Energien, als universell einsetzbaren Energieträger. Einen großen Teil dieses „grünen“ Wasserstoffs werden Deutschland und Europa aus anderen Ländern und Weltregionen zusätzlich importieren müssen. Dazu zählen die sonnenreichen arabischen und nordafrikanischen Staaten, aber auch europäische Länder wie Island mit seinem enormen Potenzial an Erdwärme als Energiequelle für die Elektrolyse, Norwegen mit seiner Wasserkraft sowie Schottland und Dänemark mit ihrer großen Windkraft-Ausbeute an Land und auf See. Sie alle werden künftig „grünen“ Wasserstoff exportieren.
Innerhalb Deutschlands müssen die modernen Fernleitungen wie SüdLink für den Transfer von Ökostrom von den Küsten in den Süden nun endlich fertiggestellt werden. Wie der geplante flächendeckende Ausbau der Windkraft an Landstandorten tatsächlich gelingen soll, ist unklar. Es zeichnet sich ab, dass die gesellschaftlichen Konflikte wegen neuer Windparks in der Mitte und im Süden Deutschlands, in den Mittelgebirgen und in den waldreichen Regionen wesentlich härter sein werden als im Norden und an den Küsten, wo die Windkraft eine traditionsreiche Energiequelle ist. Deutlich stärker als heute ließe sich im ganzen Land allerdings rasch das Potenzial der Solarenergie und der Biomasse nutzen.
Atomkraft ist nicht wettbewerbsfähig
Deutschland kann sich ausreichend Energie für die Zukunft sichern, ohne russisches Erdgas und auch ohne Atomkraft. In einem marktwirtschaftlich offenen Energiesystem wäre die Kernspaltung nicht wettbewerbsfähig, wenn man ihre Gesamtkosten transparent machte, von der Entwicklung der Systeme bis zur Endlagerung des hoch radioaktiven Atommülls. Wind- und Solarkraftwerke werden Energie in Zukunft immer billiger liefern und keine Förderung durch die Energieverbraucher mehr benötigen. Atomenergie aber wird auf lange Sicht nicht ohne Subventionen auskommen, auch nicht in Ländern wie Großbritannien, Frankreich und Finnland, die auf einen Ausbau dieser Technologie setzen. Die Steuerzahler werden diese Rechnungen noch lange begleichen müssen.
Olaf Preuß, Wirtschaftsreporter bei „WELT“ und „WELT AM SONNTAG“ mit Sitz in Hamburg, schreibt seit mehr als 30 Jahren über die deutsche und die internationale Energiewirtschaft. Zur Energiewende hat er unter anderem drei Bücher veröffentlicht, zuletzt 2014 im Wachholtz Verlag „Kraftwerk Küste“ zu den Perspektiven der Offshore-Windkraft.
Olaf Preuß, Wirtschaftsreporter bei „WELT“ und „WELT AM SONNTAG“ mit Sitz in Hamburg, schreibt seit mehr als 30 Jahren über die deutsche und die internationale Energiewirtschaft. Zur Energiewende hat er unter anderem drei Bücher veröffentlicht, zuletzt 2014 im Wachholtz Verlag „Kraftwerk Küste“ zu den Perspektiven der Offshore-Windkraft.
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