VOR ORT

Von der Welt beneidet

Die slowakische Präsidentin Zuzana Čaputová hat es vorgemacht: Mit Mut und Ausdauer lassen sich Populisten von der Macht vertreiben. Nun erhält sie den Freiheitspreis der Friedrich-Naumann-Stiftung.

TEXT: DETMAR DOERING


VOR ORT

Von der Welt beneidet

Die slowakische Präsidentin Zuzana Čaputová hat es vorgemacht: Mit Mut und Ausdauer lassen sich Populisten von der Macht vertreiben. Nun erhält sie den Freiheitspreis der Friedrich-Naumann-Stiftung.

TEXT: DETMAR DOERING

Ende des vergangenen Jahrzehnts erschien es vielen Slowaken, als ob ihr Land politisch in eine Phase der Dunkelheit geraten sei. Die regierende, nominell sozialdemokratische, aber in Wirklichkeit nationalpopulistische Smer-Partei unter Ministerpräsident Robert Fico fiel vor allem durch EU- und fremdenfeindliche Parolen auf und machte die erfolgreichen Wirtschaftsreformen der Vorgängerregierung rückgängig, um unter sozialpopulärem Deckmantel eine schleichende Oligarchisierung voranzutreiben. Dann, am 21. Februar 2018, wurde der Journalist Ján Kuciak, der über die Verquickungen von Regierung und kriminellen Geschäftsleuten recherchierte, zusammen mit seiner Freundin brutal ermordet. Die Spuren führten in regierungsnahes Milieu.

Ihr Engagement hat sie bekannt gemacht

Es musste etwas geschehen. Demonstrationen mit fast 70 000 Teilnehmern – enorm für ein kleines Land mit gerade einmal 5,5 Millionen Einwohnern – drängten Fico zum Rücktritt. Er kürte noch seinen Stellvertreter Peter Pellegrini zum Nachfolger. Das war für viele Slowaken kein echter Wechsel. Die Gelegenheit, dagegen ein Zeichen zu setzen, kam für die Wähler im März 2019 in den Präsidentschaftswahlen. Das war die Stunde von Zuzana Čaputová. Die Juristin war bereits als unbestechliche Kämpferin gegen die Missstände im Lande bekannt. Sie engagierte sich für Kinderrechte und den Bürgerrechtsverein Via Juris. Im Jahr 2016 war ihr in San Francisco der Goldman Environmental Prize verliehen worden, was sie erstmals international ins Rampenlicht gebracht hatte. Der Preis galt ihrem 14 Jahre andauernden Kampf gegen eine umweltschädigende Mülldeponie im heimischen Pezinok. Es mutet fast wie eine Ironie der Geschichte an, dass ihr Widersacher dabei der Deponiemanager und Geschäftsmann Marián Kočner war. Dieser stand später im Verdacht, den Mord an Ján Kuciak in Auftrag gegeben zu haben. Ein Gericht sprach ihn 2020 zwar mangels Beweisen frei, aber der Fall soll bald wegen gravierender Verfahrensfehler in nächster Instanz neu aufgerollt werden.

Im Jahr 2016 hatte Čaputová zu den Gründern der linksliberalen Partei Progresívne Slovensko (Progressive Slowakei) gehört, die sich für Bürgerrechte, eine Modernisierung der Wirtschaft und Umweltschutz engagierte sowie dem Nationalpopulismus der Regierung eine klar proeuropäische Position entgegensetzte. Bei den Kommunalwahlen im gleichen Jahr feierte die Partei Erfolge und stellt seither unter anderem den Bürgermeister der Hauptstadt Bratislava.

Um den überparteilichen Charakter des Präsidentenamtes zu wahren, trat Čaputová vor der Wahl aus ihrer Partei aus. Insgesamt traten 13 Kandidatinnen und Kandidaten an. Im ersten Wahlgang am 16. März 2019 stimmten sensationelle 40,6 Prozent für Čaputová. Da das noch nicht die absolute Mehrheit war, musste sie im zweiten Wahlgang gegen den zweitplatzierten Smer-Kandidaten (18,6 Prozent) antreten, den sie am 30. März mit 58,41 zu 41,59 Prozent souverän schlug.

Das war ein Signal – in der Slowakei und in aller Welt: Populisten an der Macht, die mit nationalistischen Parolen und Wahlgeschenken agieren, können sehr wohl von der Wählerschaft eine Abfuhr bekommen. Jene Kräfte, welche die altgediente Politik „entsorgen“ wollten, hatten Auftrieb. Das zeigte sich auch in den Parlamentswahlen im Februar 2020, welche die Smer-Regierung dramatisch verlor. Freilich erwies sich die neue Fünf-Parteien-Regierung unter Ministerpräsident Igor Matovič als zerstritten. Dieser musste 2021 zurücktreten; er wurde durch Finanzminister Eduard Heger ersetzt. Ob die Regierung die Legislatur durchhält, ist fraglich.

Unabhängigkeit der Justiz

Umso größer wurde dadurch das politische Gewicht der Präsidentin. Sie war es, die den Rücktrittsforderungen an Matovič den entscheidenden Nachdruck verlieh, als dieser – entgegen einem Regierungsbeschluss – den nicht anerkannten russischen Covid-Impfstoff Sputnik kaufte. Dabei hat sie sich in ihrer bisherigen Amtszeit keineswegs als überzogen übergriffig erwiesen. Čaputová sucht nicht in die Tagespolitik einzugreifen, anders als ihr tschechischer Amtskollege Miloš Zeman,
der manchmal bis in die Kabinettsbesetzungen hineinregiert. Aber sie nutzt ihre Position dazu, dezidiert ethische Standards und rechtsstaatliche Normen einzufordern. Dazu gehört ihr Einsatz für die Unabhängigkeit von Justiz und Polizei. Als Präsidentin setzt sie sich auch immer wieder für die gleichgeschlechtliche Ehe ein – auch weil die Regierung Fico zusammen mit oppositionellen Christdemokraten 2014 eine Verfassungsänderung durchgesetzt hatte, welche die Ehe als ausschließliche Verbindung von Mann und Frau festlegte.

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist Čaputovás Wort wichtiger denn je. „Wir werden nicht schweigen, wenn Russland vor der ganzen Welt Kriegsverbrechen begeht“, sagt sie. Die Regierung ist zwar ungewöhnlich geschlossen in der Frage der Unterstützung der Ukraine, muss aber gegen eine überaus starke prorussische Stimmung in der Bevölkerung ankämpfen. Da hilft die präsidentielle Autorität, die Čaputová überall Anerkennung gebracht hat – auch im Nachbarland Tschechien, wo sie als Lichtgestalt und Gegenbild zum erratisch-populistischen Zeman noch mehr verehrt wird als im eigenen Land. Zurzeit läuft dort der Film „Presidentka“ (Die Präsidentin) erfolgreich in den Kinos, eine kitschige Komödie über eine fiktive erste weibliche Präsidentin in Tschechien, die angeblich nur zufällig Čaputová vage ähnlich sieht.

Wir werden nicht schweigen, wenn Russland vor der ganzen Welt Kriegsverbrechen begeht.

Zuzana Čaputová: engagiert, couragiert und überparteilich

Internationales Ansehen

Aber auch in Deutschland, wo sie im November mit dem Freiheitspreis der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ausgezeichnet wird, ist Čaputová angesehen. Sie ist eine Präsidentin, um welche die Welt die Slowakei beneidet. Unterstützung von außen können Čaputová und ihr Land dabei gut gebrauchen. Denn Umfragen zeigen, dass die Kräfte des „alten Regimes“ – allen voran Ficos, dessen Partei sich militant radikalisiert hat – wieder auf dem Vormarsch sind. Deren Rückkehr wäre eine Gefahr für das Land und ganz Europa. 

Detmar Doering ist Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für Mitteleuropa und Baltische Staaten. Der Philosoph und Publizist lebt heute in Prag.

Detmar Doering ist Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für Mitteleuropa und Baltische Staaten. Der Philosoph und Publizist lebt heute in Prag.

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