REZENSION
Vor 75 Jahren wurde die Soziale Marktwirtschaft geboren. Ein lesenswertes Büchlein schaut zurück und nach vorn.
Text: Karl-Heinz Paqué
REZENSION
Vor 75 Jahren wurde die Soziale Marktwirtschaft geboren. Ein lesenswertes Büchlein schaut zurück und nach vorn.
Text: Karl-Heinz Paqué
Noch ein Buch über die Soziale Marktwirtschaft? Zugegeben, es ist schon vieles über das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Dekaden publiziert worden. Über jene liberale Ordnung also, die Ludwig Erhard vor 75 Jahren in einem Schlag durch die Freigabe der Preise etablierte – gewissermaßen als deutschseitige „Ergänzung“ jener Währungsreform, die auf den Willen und die Durchsetzungskraft der westlichen Besatzungsmächte zurückging. Dieses Büchlein von gerade mal 70 Textseiten fügt der geschichtlichen Forschung kaum etwas Neues hinzu. Und es wird darin auch nicht versucht, den kritischen Forschungsstand zu resümieren, der ja spätestens seit den Arbeiten des Wirtschaftshistorikers Al-brecht Ritschl zu dem Schluss gekommen ist, dass viel von dem vermeintlich Neuen, das die Soziale Marktwirtschaft etablierte, so neu gar nicht war. Denn es hatte tiefe Wurzeln in der Zwischenkriegszeit. Aber diese war extrem unglücklich verlaufen, Erhards Währungsreform dagegen mündete in einem Wunder, beginnend mit vollen Schaufenstern, gefolgt von dynamischem Wachstum des Wohlstands über zwei Jahrzehnte. Deshalb ihr Mythos.
Den Autoren Nils Goldschmidt und Stefan Kolev gelingt es, diesen Mythos lebendig zu machen. Das beginnt unter anderem mit der wunderbaren Anekdote, dass der Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone Lucius Clay am Tag nach der Währungs- und Wirtschaftsreform den zuständigen Vorsitzenden des Wirtschaftsrats Ludwig Erhard einbestellte und ihm vorhielt, eigenmächtig Besatzungsvorschriften abgeändert zu haben. Erhards entwaffnende Antwort: „Ich habe die Vorschriften nicht abgeändert, ich habe sie abgeschafft.“ Was Lucius Clay dann klaglos akzeptierte, denn so schlecht fand er es nicht – vielleicht ein Grund mehr dafür, dass heute eine der wichtigsten Verkehrsachsen in Berlin nach dem großzügigen amerikanischen General benannt wurde, dem Vater der legendären Luftbrücke.
Hinter Ludwig Erhards Unbotmäßigkeit steckte aber eine bedeutsame Grundhaltung: der Optimismus. Den definieren die Autoren als „Grundvertrauen, dass Menschen viele ihrer Probleme in Selbstorganisation lösen können – und es auch ständig tun“. Dazu bekennen die Autoren sich ausdrücklich, auch im Kampf gegen Klimawandel und Armut, der die Kreativität jedes Einzelnen herausfordert, aber mit den richtigen Rahmenbedingungen so marktwirtschaftlich wie möglich gewonnen werden kann. Also: Auch 75 Jahre nach der Freigabe der Preise, die Ludwig Erhard wagte – politisch unterstützt von den Liberalen in FDP und CDU/CSU –, gibt es Grund zum Optimismus.
Das ist eine überaus wichtige Botschaft. Das Büchlein versteht es elegant, zu ihr hinzuführen, indem die Einführung und Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft über 75 Jahre in „7,5 Kapiteln“ holzschnittartig nachverfolgt wird – bis hin zur Wiedervereinigung 1990, zu dem Reformpaket der Hartz-IV-Gesetze in den 2000er-Jahren, der Flüchtlingskrise 2015 und der Zeitenwende 2022. Insgesamt eine Erfolgsgeschichte.
Wir müssen den Glauben an die Kreativität des Einzelnen zurückgewinnen.
Nils Goldschmidt u. Stefan Kolev: „75 Jahre Soziale Markt-wirtschaft in 7,5 Kapiteln“
Herder (2023), 80 Seiten, 12,00 €
Sie steht in merkwürdigem Kontrast zur zaghaft-pessimistischen Zukunftsangst vieler Skeptiker der Globalisierung, die uns alle auf dem Weg in die Apokalypse sehen, wenn wir nicht schnellstens eine ökologisch motivierte Degrowth-Vollbremsung einlegen. Ihnen ist dieses Buch besonders ans Herz zu legen. Vielleicht hilft es diesen Skeptikern, den Glauben an die Kreativität des Einzelnen zurückzugewinnen. Für den politischen Diskurs wäre das hilfreich.
Karl-Heinz Paqué, Herausgeber und Vorsitzender des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
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