TAIWAN
Seit Langem ist der demokratische Inselstaat Taiwan den Kommunisten in Peking ein Dorn im Auge. Menschen, die in den vergangenen Jahren nach Taiwan gekommen sind, befürchten nun, dass die Volksrepublik die Insel militärisch erobern will.
Text: Alexander Görlach
TAIWAN
Seit Langem ist der demokratische Inselstaat Taiwan den Kommunisten in Peking ein Dorn im Auge. Menschen, die in den vergangenen Jahren nach Taiwan gekommen sind, befürchten nun, dass die Volksrepublik die Insel militärisch erobern will.
Text: Alexander Görlach
Seit den demokratischen Umwälzungen auf Taiwan Anfang der 1990er-Jahre ist die Anzahl der Ausländer auf der Insel beständig gestiegen. Im Jahr 2020 lebten und arbeiteten fast 800 000 von ihnen neben den rund 23,5 Millionen Taiwanern. Doch die Coronapandemie und die prekäre politische Lage setzten diesem Trend ein Ende: Seit 2020 ist die Zahl der Ausländer wieder rückläufig. Die Insel hat an Attraktivität verloren.
Denn dem kommunistischen China ist die gut funktionierende Demokratie vor seiner Küste ein Dorn im Auge. Pekings Machthaber Xi Jinping behauptet, das Eiland, das portugiesische Seefahrer im 16. Jahrhundert „La Formosa“, „die Schöne“, tauften, sei ein Teil der Volksrepublik. Doch das ist nicht wahr: Die Volksrepublik hatte noch nie die Kontrolle über Taiwan. Durch Seeblockaden, Kampfjet-Überflüge und simulierte Raketenangriffe soll die kleine demokratische Nation mürbe gemacht und in die Knie gezwungen werden. Für Xi Jinping sind das die Vorbereitungen auf eine „Wiedervereinigung“. In dieser Situation entscheiden sich trotz der ständigen Gefahr eines Krieges nach wie vor junge Menschen, auf die Insel zu ziehen und dort den Spuren ihrer eigenen Familiengeschichte nachzugehen, zu leben und zu arbeiten.
Gutes Gesundheitssystem
Silvio Chang ist einer von ihnen. Der 36-Jährige wurde in Brasilien als Sohn taiwanesischer Eltern geboren, wuchs in Paraguay auf und zog mit 13 nach Kalifornien. Aus den USA kehrte er vor acht Jahren in die alte Heimat seiner Familie zurück, weil sich seine Mutter dort einer Krebsbehandlung unterziehen wollte. „Wir dachten, es wäre gut, in dieser Zeit nahe bei dem Rest der Familie in Taiwan zu sein“, sagt Silvio. „Außerdem hat Taiwan eines der besten Gesundheitssysteme der Welt“, fügt er hinzu. Verglichen mit den USA, wo es keine erschwingliche Krankenkasse für alle gibt, ist Taiwan mit seinen 25 Euro Beitrag pro Monat in der Tat ein wahres Paradies. Das Eingewöhnen auf der Insel war für Silvio trotz der hervorragenden Rahmenbedingungen nicht immer leicht. „Ich fühlte mich anfangs doch noch sehr wie ein Amerikaner“, meint er. Mittlerweile habe sich das geändert, die Taiwaner seien auf ihre Art ähnlich „laid back“ wie die Menschen im warmen Kalifornien.
In-In Adrianne Chou kam früher als Silvio zurück nach Taiwan, als sie 16 Jahre alt war. Ihre Familie floh von der Elfenbeinküste, nachdem sich das Militär dort im Jahr 2004 an die Macht geputscht hatte. „Wäre das nicht passiert, hätten wir dieses Land wahrscheinlich nie verlassen“, sagt sie. Das Eingewöhnen war auch für sie eine Herausforderung: „Ich war anfangs besser im Französischen als im Chinesischen. Mittlerweile hat sich das umgekehrt“, sagt sie. „Außerdem verbringen Kinder in Taiwan nach der Schule etliche weitere Stunden in einer Art Abendschule, in der der Unterricht weitergeht. In Afrika hatten wir größere Freiheiten“, erinnert sich die 35-Jährige.
Einmal vor einem Coup geflohen, betrachtet In-In die zunehmende Aggression, die die benachbarte Volksrepublik dem demokratischen Taiwan entgegenbringt, mit zunehmender Sorge. „Ich bin nicht zu sehr involviert in Politik, aber an der Elfenbeinküste mussten mit einem Schlag auf einmal alle Ausländer raus. Ich möchte nie wieder eines Morgens in einer ähnlichen existenziellen Krise aufwachen.“
In den vergangenen Monaten haben sich die Anzeichen verdichtet, dass Chinas Machthaber Xi Jinping gegen Taiwan losschlagen könnte: Seeblockade, Kampfjets, Flugverbotszone, durchtrennte Internetkabel – all das bereitet den politisch Verantwortlichen in den Hauptstädten von Taipeh bis Washington schlaflose Nächte.
Die Anzeichen verdichten sich, dass China bald losschlagen könnte.
Ein Unterstützer der chinesischen Regierung tritt im August 2022 in Hongkong auf ein Bild der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, um gegen deren Besuch in Taiwan zu protestieren
Zunehmende Dämonisierung
Silvio, der mittlerweile taiwanesischen Tee exportiert, spürt die Veränderungen auch geschäftlich: „Die Menschen in China mochten den Tee aus Taiwan immer“, sagt er. Dass die Führung in Peking in ihren Staatsmedien Taiwaner zunehmend dämonisiert und als Abtrünnige und Separatisten hinstellt, wirkt sich auf sein Geschäft aus. „In einem solchen politischen Klima weiter an die Volksrepublik als Exportland zu denken, wäre wirtschaftlich fatal. Wir konzentrieren uns jetzt vor allem auf den US-amerikanischen Markt“, sagt er. Für ihn eine 180-Grad-Wende. „Taiwan war sogar einmal so etwas wie ein Sehnsuchtsort für die Menschen vom Festland“, schwärmt er von der vergangenen Zeit. Nach den Wahlen im Jahr 2016 verbot Xi Jinping kurzerhand seinen Untertanen, nach Taiwan zu reisen, weil mit der liberalen Fortschrittspartei eine demokratische Kraft an die Macht gewählt wurde, die Peking kritisch gegenübersteht.
Für Brian Hioe wurde Taiwan in dieser Zeit zu seinem Schicksalsort. Der 31-Jährige wuchs in New York auf. Seine Mutter ist Taiwanerin und sein Vater hat chinesisch-indonesische Wurzeln und kam in den Sechzigerjahren auf die Insel, als sie noch eine Militärdiktatur unter Machthaber Chiang Kai-chek war. In seiner Jugend herrschte in Brians US-amerikanischer Heimat eine folkloristische Vorstellung vom Leben auf der Insel. Deshalb entschied er sich 2014 nach seinem Highschool-Abschluss, nach Taiwan zu ziehen und dort zu studieren. „Eigentlich wollte ich von dort aus ganz Asien erkunden. Aber daraus wurde nichts. Ich bin immer noch da“, sagt Hioe. Während seines Studiums erlebte der Amerikaner die „Sonnenblumen-Bewegung“ mit. Damals wehrten sich Studierende gegen ein Handelsabkommen, das die konservative Regierung ohne Parlamentsbeschluss durchbringen wollte. Die Angst ging um, dass so durch die Hintertür die Unabhängigkeit Taiwans verspielt würde. Brian schloss sich der Bewegung an und gibt noch heute ein eigenes Magazin heraus, das er damals gegründet hat und das den Namen „New Bloom“ trägt. Es waren die Studentenproteste des Jahres 2014, die den Regierungswechsel zwei Jahre später einläuteten.
Brian, In-In Adrianne und Silvio wissen, dass der Konflikt um Taiwan jederzeit eskalieren könnte. Alle Augen sind daher auf die Schutzmacht USA gerichtet. Die Verantwortung, die Washington seit 1979 für Taiwan übernommen hat, würde den Angriff der Volksrepublik auf Taiwan in einen Weltkrieg eskalieren lassen. Das Szenario ist nicht unwahrscheinlich, aber auch nicht gewiss. Derzeit öffnen bereits überall in der Volksrepublik Rekrutierungsbüros der Armee, um Soldaten anzuwerben, während in Taiwans Hauptstadt Taipeh Schilder die Richtung zum nächsten Luftschutzkeller weisen und der Wehrdienst von vier auf zwölf Monate verlängert wurde.
Umstrittener Status
Taiwan, das mit vollem Namen „Republik China“ heißt, ist der Rest dieser Republik, die 1912 gegründet wurde und die nach einem fürchterlichen Bürgerkrieg mit den Truppen Mao Zedongs am Ende den Kommunisten unterlag. Die Regierung floh mit rund zwei Millionen Menschen in den Jahren 1947 bis 1949 auf die Insel Taiwan, die damals zur Republik China gehörte, während Mao ein neues Land ausrief, die Volksrepublik China. Die Republik China existiert seitdem mit ihrem Territorium und ihrem Staatsvolk auf Taiwan weiter, die Verfassung der Republik gilt nach wie vor. Wenn Peking sagt, in Taipeh regierten „Separatisten“, die eine Unabhängigkeit von der Volksrepublik anstrebten, löst das auf Taiwan nur Kopfschütteln aus: Die überwältigende Mehrheit der rund 24 Millionen Einwohner Taiwans würde sagen, dass ihr Land nach wie vor ein eigener, unabhängiger Staat ist.
Im sogenannten Konsens von 1992 haben Peking und Taipeh in einer Art Formel festgehalten, dass es nur ein China gebe. Beide Seiten nehmen dabei für sich in Anspruch, dieses eine China zu repräsentieren. Der Vergleich zu den beiden deutschen Staaten drängt sich auf, von denen beide ausgingen, das wahre, echte Deutschland zu sein. Anders als der Name „Konsens“ nahelegt, besteht zwischen den beiden Parteien keine Einigkeit darüber, was damals beschlossen wurde. Fest steht: Seit Xi Jinping 2013 an die Macht gekommen ist, hat Peking seine Gangart gegenüber der Insel verändert und eine „Wiedervereinigung“ zum politischen Ziel erklärt.
Die Frage ist, ob es dafür wirklich zum Krieg gegen Taiwan kommt. Seit Xi an der Macht ist, hat er das semi-autonome Hongkong planiert und die Anhänger der Demokratie in der ehemaligen britischen Kronkolonie ins Gefängnis werfen lassen. Ähnlich würde Xi vermutlich mit den Taiwanern verfahren, die sich ihm nicht unterwerfen. Derzeit erscheint allerdings am wahrscheinlichsten, dass es Peking bei den genannten Aktionen belassen wird, die Taiwans Autorität untergraben, die Souveränität der Republik China verletzen und die Menschen auf der Insel einschüchtern. Seeblockaden und Flugverbotszonen sollen der Weltgemeinschaft signalisieren, dass es die Volksrepublik ist, die über das Schicksal der Insel bestimmt, und nicht die demokratischen Taiwaner.
Die überwältigende Mehrheit der Menschen auf der Insel möchte, dass alles bleibt, wie es für die meiste Zeit seit dem Ende des Bürgerkrieges war: Nur sieben Prozent der Bevölkerung votieren in Umfragen für eine formale Erklärung einer Unabhängigkeit – was technisch betrachtet die Ausrufung einer neuen Republik bedeuten würde, da Taiwan sich ja nicht von sich selbst unabhängig erklären kann. Ein Anschluss an Xis China findet ebenfalls nur Gefallen bei einer ungefähr gleich großen Gruppe von Menschen auf der Insel.
Schwierige Landung
Peking hält sich für den Moment mit einer Kriegserklärung zurück, weil unklar ist, ob die Volksrepublik gegen Taiwan und die USA gewinnen würde. Die Landung an der Küste ist genauso schwierig wie die Versorgung der Truppen, sollten sie sich an der Küste festsetzen können. Im März 2023 hat Machthaber Xi Jinping gleich viermal öffentlich das Militär und die Öffentlichkeit auf einen Krieg eingestimmt. Von Washington bis Berlin täte man daher gut daran, sich von Pekings Rhetorik, wonach Taiwan ein abtrünniger Teil der Volksrepublik sei, zu distanzieren und herauszustellen, dass die Menschen dort das Recht haben, ihre Zukunft selbst zu bestimmen. Nur wenn die freie Welt hier mit einer Stimme spricht, kann der Ausbruch eines Kriegs über Taiwan verhindert werden.
Was sie tun würden, wenn wirklich ein Krieg ausbräche? „Mein Mann ist Taiwan-Kanadier“, sagt In-In Adrianne. „Wir würden wohl nach Nordamerika gehen.“ Brian hingegen sieht seine Perspektive klar auf Taiwan, egal in welchem Szenario. „Meine Freunde und ich sagen scherzhaft, dass wir hier auf der Insel sterben werden“, sagt er. „Damit stünden wir in der Tradition derer, die bereits während der Militärdiktatur von Chiang Kai-shek ihr Leben für die Demokratie lassen mussten.“ Doch letztlich hofft er, dass es dazu nicht kommen wird.
Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs. Zuletzt erschien von ihm bei Hoffmann und Campe: „Alarmstufe Rot: Wie Chinas aggressive Außenpolitik im Westpazifik in einen globalen Krieg führt“.
Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs. Zuletzt erschien von ihm bei Hoffmann und Campe: „Alarmstufe Rot: Wie Chinas aggressive Außenpolitik im Westpazifik in einen globalen Krieg führt“.
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