JUNGE KOLUMNE
Die Emotionalisierung in den sozialen Netzwerken prägt das Weltbild junger Menschen. Gut so. Denn das zeigt, dass ihnen die Welt am Herzen liegt.
Text: Felix Langrock
JUNGE KOLUMNE
Die Emotionalisierung in den sozialen Netzwerken prägt das Weltbild junger Menschen. Gut so. Denn das zeigt, dass ihnen die Welt am Herzen liegt.
Text: Felix Langrock
Auf den Straßen in London entwickelt sich eine faszinierende Dynamik. Die Proteste und Demonstrationen rund um den Nahostkonflikt zeigen eine Bewegung, die Hunderte, vorwiegend junge, hoch emotionalisierte Menschen vor den Toren meiner Universität versammelt. Auf der ganzen Welt sind ähnliche Bilder zu sehen: Überall ziehen junge Menschen durch die Straßen, protestieren, skandieren Slogans, vernetzen sich, senden Botschaften auf allen (sozialen) Kanälen – voller Emotionen und im vollsten Bewusstsein, recht zu haben.
Das wirft tiefgreifende Fragen auf: Wie wird die Meinung junger Menschen geprägt? Und welchen Einfluss hat das auf die Grundfesten der liberalen Demokratie? Birgt nicht gerade die Emotionalität humanitärer Krisen das Potenzial, langfristig die Meinung junger Menschen zu beeinflussen, das also, was man gemeinhin ihren gesunden Menschenverstand nennt? Seit Thomas Paine 1776 seine Schrift „Common Sense“ veröffentlicht hat, bildet genau die eher vage Übersetzung des Common Sense als „gesunder Menschenverstand“ die Grundlage der liberalen Idee.
Dieses vermeintlich natürliche Urteilsvermögen ist heute so stark wie nie unterschiedlichen Positionen ausgesetzt. Der Sturm auf das Kapitol der Vereinigten Staaten im Januar 2021 unter der Schutzbehauptung des gesunden Menschenverstands bildet dabei einen erschreckenden Höhepunkt. Tweet-Auseinandersetzungen zwischen Greta Thunberg und Donald Trump verdeutlichen, wie unterschiedlich diese Fähigkeit zur Meinungsbildung interpretiert werden kann.
Der gesunde Menschenverstand ist heute so stark wie nie unterschiedlichen Positionen ausgesetzt.
Doch die liberale Idee steht und fällt mit dem Wirken des gesunden Menschenverstands. Liberalismus ist kein Endzustand, er braucht junge Stimmen, die bestehende Überzeugungen hinterfragen und weiterentwickeln. Gesellschaft und Politik brauchen junge Menschen, die sowohl gegen Polarisierung als auch gegen Stillstand kämpfen. Natürlich sind bei diesem Einsatz Irrtümer nicht vermeidbar, gerade dann, wenn junge Menschen klassische Medien meiden und sich immer mehr durch soziale Medien informieren und die damit einhergehende Emotionalisierung miterleben.
Klar kann man die politischen Vorstellungen junger Leute und ihre Forderungen zur Mitgestaltung kritisieren. Der deutsche Psychologe Heiner Keupp spricht von Jugendlichen, die in einer „Krise der Normalität“ Grenzüberschreitungen als Normalerfahrung unserer globalisierten Netzwerkgesellschaft erleben. Aber sind es nicht gerade diese Fehleinschätzungen, die den Überschwang der Jugend ausmachen? Und zeigen nicht immer wieder wissenschaftliche Studien, aber auch einfache Gespräche mit jungen Menschen, dass diesen die Welt am Herzen liegt, dass sie sich für politische Fragen interessieren? Die Emotionalisierung der jungen Menschen ist deshalb auch ein Zeichen dafür, dass sie nach politischer Mitgestaltung drängen.
Felix Langrock studiert Rechts-wissenschaften am King’s College in London.
Felix Langrock studiert Rechts-wissenschaften am King’s College in London.
Es scheint ein Merkmal unserer Zeit zu sein: Debatten werden von den Rändern angefacht und dominiert, nicht aus der liberalen Mitte heraus. Ganz besonders deutlich wird das bei Themen wie Migration und Religion, Zugehörigkeit und Identität.
Der Liberalismus verlangt solide Finanzen und werthaltiges Geld. Nur so kann der Zusammenhalt der Gesellschaft erreicht werden.
Ein Versuch in vier Akten, ausgewählt von Svenja Schnepel.