Wissenschaftsfreiheit

„Wir dürfen nicht naiv sein“

Die liberale Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger sieht die zunehmenden Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit mit Sorge. Mit „Liberal“ sprach sie darüber, woher diese kommen, warum sie gefährlich sind und was sie als Ministerin dagegen tut.

Liberal: Frau Stark-Watzinger, Sie haben vor einigen Monaten in einem Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ als Bundesforschungsministerin dazu aufgerufen, die Freiheit der Wissenschaft zu verteidigen. Ist diese denn ernsthaft in Gefahr?

Bettina Stark-Watzinger: Der Academic Freedom Index 2023 bescheinigt Deutschland ein im internationalen Vergleich hohes Maß an Wissenschaftsfreiheit. Schaut man sich allerdings die Entwicklungen weltweit an, ergibt sich ein anderes Bild. Für knapp die Hälfte der Menschheit hat sich die Lage verschlechtert, dazu gehören leider auch Länder wie die Vereinigten Staaten. Das sollte uns eine Warnung sein.

Wissenschaftsfreiheit

„Wir dürfen nicht naiv sein“

Die liberale Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger sieht die zunehmenden Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit mit Sorge. Mit „Liberal“ sprach sie darüber, woher diese kommen, warum sie gefährlich sind und was sie als Ministerin dagegen tut.


Es gibt in Deutschland kaum jemanden, der von sich behaupten würde, dass er die Wissenschaftsfreiheit einschränken möchte.

Nein, aber es gibt natürlich Versuche, Einfluss auf den Diskursraum an Hochschulen zu nehmen. Wenn linke Gruppen mit wissenschaftsfernen und -feindlichen Begründungen Kampagnen gegen ihnen nicht genehme Themenschwerpunkte, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fahren, dann hat das seine Wirkung. Gleiches gilt für radikale Rechte, wenn sie sich auf einzelne Fächer einschießen und Anträge in den Parlamenten stellen, die klar darauf abzielen, die Förderung von Wissenschaft an bestimmte politische Vorgaben zu knüpfen.

Das waren Beispiele aus der parlamentarischen und außerparlamentarischen Opposition. Gibt es auch staatliche Einflussnahme?

Ja, durch die Art und Weise, wie Wissenschaft teilweise gefördert wird. Es gibt eine Tendenz, das gerne dort zu tun, wo die eigene Meinung bestätigt wird. Also einen bestimmten Thinktank zu fördern und nicht die unabhängige Wissenschaftsplattform. Das finde ich bedenklich, und so etwas sendet falsche Signale in die Wissenschaft. Die persönliche Meinung von Politikerinnen und Politikern darf keine Rolle spielen.

Aber die Wissenschaftsfreiheit ist doch im Grundgesetz verankert.

Sogar mehr als das. Die Wissenschaftsfreiheit findet sich nicht nur in Artikel 5 Abs. 3 des Grundgesetzes, sondern auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und dem UN-Menschenrechtsabkommen. Sie ist ein hohes Gut.

Juristisch scheint das recht klar zu sein. Welche Rolle kommt Politikerinnen und Politikern dann konkret zu?

Wir müssen alles tun, um die Wissenschaftsfreiheit gegenüber allen Angriffen zu verteidigen. Egal, ob sie nun aus den Reihen von Hochschulgruppen oder Oppositionsparteien kommen. Darüber hinaus dürfen wir die Angriffe von außerhalb nicht außer Acht lassen. Spitzenforschung setzt auf internationale Zusammenarbeit. Aber unsere Wissenschaftsfreiheit stößt da an Grenzen, wo Missbrauch von Forschung, ausländischer Einflussnahme und vor allem dem ungewollten Know-how-Abfluss Tür und Tor geöffnet sind. Wir dürfen auch im Bereich der Wissenschaft nicht naiv sein: Wir stehen nicht mehr nur im Wettbewerb mit anderen Demokratien, sondern zunehmend auch mit autoritär regierten, systemischen Rivalen. Diese Akteure nutzen unsere Freiheiten aus. Damit gefährden sie nicht bloß unsere technologische Souveränität, sondern auch unsere nationale Sicherheit.

Es gibt Versuche, Einfluss auf den Diskursraum an Hochschulen zu nehmen.
Bettina Stark-Watzinger

Bettina Stark-Watzinger ist seit 2021 Bundesministerin für Bildung und Forschung. Bevor sie 2017 Bundes-tagsabgeordnete wurde, war sie Geschäftsführerin eines Forschungszentrums. Sie ist stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP.

Das klingt fast so, als ob der akademische Austausch über Ländergrenzen hinweg in Zukunft eingeschränkt werden sollte.

Wir stehen vor der Aufgabe, Wissenschaftsfreiheit mit unseren sicherheitspolitischen Interessen in Einklang zu bringen. Wir müssen uns über die Risiken bewusst sein und notwendige Maßnahmen zum Schutz unserer Forschung und unserer Wissenschaftsfreiheit ergreifen, ohne Forschungszusammenarbeit zu verunmöglichen. Denn ohne Austausch und Vernetzung mit anderen funktioniert Wissenschaft nicht. Aber autokratisch regierte Länder wie China haben ihre Strategie. Und wir müssen dem unsere eigene Strategie entgegensetzen. Die kann nicht Entkopplung heißen, wohl aber: Minimierung der Risiken. Dazu braucht es eine gemeinsame Anstrengung, zumindest innerhalb der Europäischen Union.

Gibt es in diesem Bereich denn schon entsprechende Entwicklungen? Oder ist das eher ein grundsätzlicher Aufruf auch in Richtung der europäischen Amtskolleginnen und -kollegen, sich endlich gemeinsam an einen Tisch zu setzen?

Wir setzen uns im Kontext des Europäischen Hochschulraumes seit Jahren für die Förderung gemeinsamer Grundwerte im akademischen Bereich ein, zusammen mit den meisten der teilnehmenden Länder in ganz Europa und mit der Europäischen Kommission. Bereits 2020 haben sich die Bildungsministerinnen und -minister in der Erklärung von Rom zu einem gemeinsamen Verständnis der Wissenschaftsfreiheit („Academic Freedom“) bekannt. Zu weiteren Grundwerten, wie beispielsweise der Autonomie der Hochschulen, wird bis zum kommenden Jahr ein gemeinsames Verständnis erarbeitet und in der Erklärung der Ministerkonferenz von Tirana veröffentlicht. Parallel dazu wird ein kohärenter Rahmen für die Messung und Beobachtung der Einhaltung akademischer Grundwerte entwickelt. Dies soll die Grundlage dafür schaffen, in allen 47 aktiven Bologna-Staaten die Aufmerksamkeit für das Thema zu erhöhen und die Rahmenbedingungen für die Einhaltung dieser Werte zu verbessern.

Wir müssen alles tun, um die Wissenschafts­freiheit gegenüber allen Angriffen zu verteidigen.
Bettina Stark-Watzinger

Das klingt noch recht allgemein. Gibt es denn schon Beispiele, an denen diese Entwicklungen greifbar werden?

Wir haben erstmals 2022 den Beschluss gefasst, zwei Staaten von der Gremienarbeit des Europäischen Hochschulraumes zu suspendieren. Der Angriff Russlands auf die Ukraine und die Unterstützung durch Belarus stehen im krassen Widerspruch zur Bologna-Deklaration von 1999, die die Bedeutung von Bildungszusammenarbeit für die Entwicklung und Stärkung stabiler, friedlicher und demokratischer Gesellschaften würdigt. Ohne die Beschlüsse der letzten Jahre wären wir nicht so schnell handlungsfähig gewesen.

Nun haben wir doch einige sehr unterschiedliche Themen diskutiert, die aber alle wieder dieselbe Grundfrage berühren, nämlich wie wir die Wissenschaftsfreiheit verteidigen. Worüber wir allerdings noch nicht gesprochen haben: Wer verteidigt die Wissenschaftsfreiheit?

Als Wissenschaftsministerin sehe ich es als meine Aufgabe an, die Wissenschaftsfreiheit zu verteidigen. Aber natürlich sind dafür Verbündete in der Politik, in Wissenschaft und Gesellschaft notwendig.

Academic Freedom Index

Forschende von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, der FU Berlin und der Universität Göteborg arbeiten gemeinsam in internationaler Kooperation an dem Projekt Academic Freedom Index (AFI). Dieses untersucht in regelmäßigen Updates den weltweiten Stand der Wissenschaftsfreiheit, zuletzt 2023

Das klingt noch recht allgemein. Gibt es denn schon Beispiele, an denen diese Entwicklungen greifbar werden?

Wir haben erstmals 2022 den Beschluss gefasst, zwei Staaten von der Gremienarbeit des Europäischen Hochschulraumes zu suspendieren. Der Angriff Russlands auf die Ukraine und die Unterstützung durch Belarus stehen im krassen Widerspruch zur Bologna-Deklaration von 1999, die die Bedeutung von Bildungszusammenarbeit für die Entwicklung und Stärkung stabiler, friedlicher und demokratischer Gesellschaften würdigt. Ohne die Beschlüsse der letzten Jahre wären wir nicht so schnell handlungsfähig gewesen.

Nun haben wir doch einige sehr unterschiedliche Themen diskutiert, die aber alle wieder dieselbe Grundfrage berühren, nämlich wie wir die Wissenschaftsfreiheit verteidigen. Worüber wir allerdings noch nicht gesprochen haben: Wer verteidigt die Wissenschaftsfreiheit?

Als Wissenschaftsministerin sehe ich es als meine Aufgabe an, die Wissenschaftsfreiheit zu verteidigen. Aber natürlich sind dafür Verbündete in der Politik, in Wissenschaft und Gesellschaft notwendig.

An wen denken Sie da konkret?

Die Wissenschaftslandschaft selbst ist hier in der Verantwortung. Gerade mit Blick auf autoritäre Staaten ist das Risikobewusstsein bei Hochschulen und Forschungseinrichtungen zwar bereits stark gestiegen, aber dennoch weiter ausbaufähig. Auch bei den Versuchen, unliebsame Dozentinnen oder Dozenten durch Angriffe loszuwerden, sind die Hochschulen gefragt. Sie dürfen das nicht hinnehmen, wenn sie keine Präzedenzfälle schaffen wollen, welche die Aktivistinnen und Aktivisten nur ermutigen, die Grenzen weiter zu verschieben. Man sieht in den Vereinigten Staaten, dass die Frage, wie glaubhaft eine Hochschulleitung bei der Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit agiert, einen Unterschied macht. Und schließlich brauchen wir jeden Einzelnen in unserer Gesellschaft, um für den offenen Diskurs einzutreten und damit den freiheitlichen Geist von Demokratie und Wissenschaft zu verteidigen.

Das gilt nun aber nicht nur für Hochschulen.

Das stimmt natürlich. Aber an Hochschulen wurden gesellschaftliche Streitpunkte schon immer sehr früh und sehr intensiv verhandelt. Was dort passiert, hat häufig Signalwirkung. Hochschulen müssen Räume eines freien Diskurses bleiben. Gleichzeitig müssen wir aber auch schauen, dass unter dem Deckmantel von Wissenschafts- und Meinungsfreiheit nicht Hass und Hetze um sich greifen. Das ist ein wichtiges Thema, gerade auch für jüdische Studierende. Wir wollen keine Verhältnisse wie an amerikanischen Hochschulen, wo Jüdinnen und Juden inzwischen Angst haben müssen, Vorlesungen zu besuchen.

Das ist eine weitere Facette im Spannungsfeld Hochschule und Freiheit.

Absolut. Die richtigen Abwägungen und Entscheidungen zu treffen ist nie leicht, schon gar nicht rund um das Themenfeld Wissenschaft. Aber deshalb kann man es ja nicht bleiben lassen, ganz im Gegenteil. Deshalb werden wir das Wissenschaftsjahr 2024 dem Thema „Freiheit“ in all seinen Facetten widmen. Und ich hoffe, dass wir damit einen Nerv treffen und viele Menschen inspirieren, sich aktiv mit dem freiheitlichen Geist unserer Demokratie – und der Wissenschaft – zu befassen. Den Wert der Freiheit neu zu betonen ist umso wichtiger, als wir im nächsten Jahr auf den 75. Jahrestag des Grundgesetzes und den 35. Jahrestag des Mauerfalls zurückblicken. Zeit also, um ein Jahr lang die Freiheit zu feiern.

Frau Stark-Watzinger, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Julia Thiem arbeitet seit vielen Jahren freiberuflich als Journalistin und Autorin.

Julia Thiem arbeitet seit vielen Jahren freiberuflich als Journalistin und Autorin.

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