Gleichgewicht zum Norden:
Beim Gipfel in Südafrika 2023 wollte die BRICS-Gruppe Stärke zeigen.

Globaler Süden

Vereinte BRICS
gegen den Norden?

Ein Gegengewicht zu den westlichen Industriestaaten – und vor allem zur Dominanz der USA– zu bilden: Das war die Idee hinter dem Staatenverbund BRICS. Anfang des Jahres sind neue Mitglieder hinzugekommen. Gelingt es dem „globalen Süden“, seinen Positionen mehr Gewicht zu verleihen? Und wie könnte eine liberale Antwort auf BRICS aussehen?

Text: Hans-Dieter Holtzmann

Globaler Süden

Vereinte
BRICS gegen den
Norden?

Ein Gegengewicht zu den westlichen Industriestaaten – und vor allem zur Dominanz der USA– zu bilden: Das war die Idee hinter dem Staatenverbund BRICS. Anfang des Jahres sind neue Mitglieder hinzugekommen. Gelingt es dem „globalen Süden“, seinen Positionen mehr Gewicht zu verleihen? Und wie könnte eine liberale Antwort auf BRICS aussehen?

Text: Hans-Dieter Holtzmann

Die jüngste BRICS-Erweiterungsrunde hat es in sich: Mit der zweiten Erweiterung repräsentiert der lose Staatenverbund knapp 46Prozent der Weltbevölkerung, 36 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts und 25 Prozent des Welthandels. Ägypten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate sind Anfang 2024 beigetreten. Saudi-Arabien prüft diesen Schritt derzeit – ebenso wie rund 30 weitere Staaten, die Interesse an einer Mitgliedschaft bekundet haben. Argentinien hingegen hat sich nach dem Amtsantritt von Präsident Javier Milei entschieden, seinen Aufnahmeantrag zurückzuziehen.

Ein wirtschaftliches Gegengewicht

Ein wirtschaftliches
Gegengewicht

2009 wurde der lose Staatenverbund BRIC von Brasilien, Russland, Indien und China gegründet. 2010 kam Südafrika hinzu – seitdem trägt das Ensemble das Akronym BRICS. Es sollte ein Gegengewicht zum wirtschaftlich dominierenden Norden entstehen, eine Organisation, die zugleich die Interessen der politischen und wirtschaftlichen Groß- und Mittelmächte in den multilateralen Organisationen, insbesondere den Vereinten Nationen und den Bretton-Woods-Organisationen Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF), stärker vertritt.

Die Ziele waren von Anfang an finanz- und wirtschaftspolitischer Natur: Mehr bilaterale wirtschaftliche Zusammenarbeit innerhalb der Gruppe, die sich auch auf Finanzierungslösungen erstreckt. Mehr Unabhängigkeit von den bisher dominierenden westlichen Finanz- und Kapitalmärkten. Eine eigene BRICS-Währung als Alternative zum Dollar. Eine stärkere Abwicklung des Intra-BRICS-Handels in eigenen Währungen und mehr Geld für die eigene BRICS-Förderbank New Development Bank.

Eine weitgehende finanz- und währungspolitische Abkopplung vom Westen erscheint jedoch kurz- bis mittelfristig unrealistisch. Zu stark hat sich der US-Dollar als Weltwährung etabliert. Zudem ist die Kapitalausstattung der New Development Bank mit 100Milliarden US-Dollar im Vergleich zu anderen Entwicklungsinstitutionen eher bescheiden.

Glücklich auf dem Gipfel: BRICS-Treffen in Johannesburg in Südafrika im August 2023. (V.l.n.r.) Luiz Inácio Lula da Silva (Brasilien), Xi Jinping (China), Cyril Ramaphosa (Südafrika), Narendra Modi (Indien) und Sergei Lawrow (Russland).

Glücklich auf dem Gipfel: BRICS-Treffen in Johannesburg in Südafrika im August 2023. (V.l.n.r.) Luiz Inácio Lula da Silva (Brasilien), Xi Jinping (China), Cyril Ramaphosa (Südafrika), Narendra Modi (Indien) und Sergei Lawrow (Russland).

Machtfrage

1 Die BRICS sind ein ernst zu nehmender Player. Der Gruppe gehören heute Ägypten, Äthiopien, Brasilien, China, Indien, Iran, Russland, Südafrika und die Vereinigten Arabischen Emirate an. Weitere Staaten wollen Mitglieder werden. 

2 In den neun Mitgliedsstaaten leben heute 46 Prozent der Weltbevölkerung: Allein China und Indien vereinen 86 Prozent der BRICS-Bevölkerung. Die Gruppe versteht sich als globales Gegengewicht zum wirtschaftlich dominanten Norden.

3 Wirtschaftliches Potenzial: Die BRICS-Staaten erwirtschaften 36 Prozent des globalen BIP – doch auch hier dominiert China. Aus dieser Position der Stärke heraus wollen die Mitglieder ihre Interessen als politische und wirtschaftliche Groß- und Mittelmächte in den multilateralen Organisationen stärker vertreten, vor allem in den UN und den Bretton-Woods-Organisationen Weltbank und Internationaler Währungsfonds. 

4 Dafür setzt die Gruppe auf eine stärkere bilaterale wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern, die sich auch auf Finanzierungslösungen erstreckt. Gleichzeitig sollen die Staaten unabhängiger werden von den dominierenden westlichen Finanz- und Kapitalmärkten. 

5 Dabei könnte vor allem eine eigene BRICS-Währung als Alternative zum Dollar entstehen. Allerdings zeigen Beispiele, dass selbst mehr Intra-BRICS-Handel in eigenen Währungen die Ablösung des US-Dollars als Leitwährung nicht einfacher macht. Mehr Geld für die BRICS-Förderbank New Development Bank soll Kredite zu besseren Konditionen als über Weltbank und IWF ermöglichen.

6 Wirtschaftspolitisch kommt allerdings hinzu, dass sich viele Mitgliedsstaaten nicht für eine Seite entscheiden wollen, sondern lieber nach politischen Alternativen zur – ausschließlichen – Anbindung an den Westen suchen.

Machtfrage

1 Die BRICS sind ein ernst zu nehmender Player. Der Gruppe gehören heute Ägypten, Äthiopien, Brasilien, China, Indien, Iran, Russland, Südafrika und die Vereinigten Arabischen Emirate an. Weitere Staaten wollen Mitglieder werden. 

2 In den neun Mitgliedsstaaten leben heute 46 Prozent der Weltbevölkerung: Allein China und Indien vereinen 86 Prozent der BRICS-Bevölkerung. Die Gruppe versteht sich als globales Gegengewicht zum wirtschaftlich dominanten Norden.

3 Wirtschaftliches Potenzial: Die BRICS-Staaten erwirtschaften 36 Prozent des globalen BIP – doch auch hier dominiert China. Aus dieser Position der Stärke heraus wollen die Mitglieder ihre Interessen als politische und wirtschaftliche Groß- und Mittelmächte in den multilateralen Organisationen stärker vertreten, vor allem in den UN und den Bretton-Woods-Organisationen Weltbank und Internationaler Währungsfonds. 

4 Dafür setzt die Gruppe auf eine stärkere bilaterale wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern, die sich auch auf Finanzierungslösungen erstreckt. Gleichzeitig sollen die Staaten unabhängiger werden von den dominierenden westlichen Finanz- und Kapitalmärkten. 

5 Dabei könnte vor allem eine eigene BRICS-Währung als Alternative zum Dollar entstehen. Allerdings zeigen Beispiele, dass selbst mehr Intra-BRICS-Handel in eigenen Währungen die Ablösung des US-Dollars als Leitwährung nicht einfacher macht. Mehr Geld für die BRICS-Förderbank New Development Bank soll Kredite zu besseren Konditionen als über Weltbank und IWF ermöglichen.

6 Wirtschaftspolitisch kommt allerdings hinzu, dass sich viele Mitgliedsstaaten nicht für eine Seite entscheiden wollen, sondern lieber nach politischen Alternativen zur – ausschließlichen – Anbindung an den Westen suchen.

Und das Beispiel Euro zeigt, wie lange es dauert, eine neue Währung aufzubauen, die das Vertrauen der internationalen Partner genießt. Gerade die Eurozone verdeutlicht, wie schwierig es ist, eine währungspolitische Koordinierung ohne wirtschaftspolitische Vorgaben umzusetzen. Dies gilt umso mehr für wirtschaftlich, geografisch und politisch so unterschiedliche Akteure wie die der BRICS-Gruppe.

Jede Menge ungelöste Konflikte

Jede Menge ungelöste
Konflikte

Fraglich ist, ob die Gründungsziele der heterogenen Gruppe überhaupt erreichbar und durchsetzbar sind. Denn die Gemeinsamkeiten der Mitgliedstaaten, die teils erhebliche Divergenzen bei ihren politischen und wirtschaftlichen Interessen aufweisen, sind gering bis nicht vorhanden.

So verfolgen China, Russland und Iran in einem geopolitischen Systemwettbewerb explizit Ziele, die sich gegen die westlichen Institutionen und Werte richten. Außerdem versuchen Iran und Russland durch ihre BRICS-Mitgliedschaft wirtschaftliche und politische Sanktionen zu unterlaufen. Andere Staaten wie Brasilien, Indien und die Vereinigten Arabischen Emirate erhoffen sich von BRICS eine stärkere Diversifizierung ihrer Wirtschaft, bleiben aber dem Westen verbunden. Schließlich treten bestehende Konflikte wie zwischen Indien und China im Himalaja oder zwischen Ägypten und Äthiopien um den Nil-Staudamm sowie religiöse Spannungen wie zwischen Iran und Saudi-Arabien offen zutage, ohne dass die BRICS-Organisation bisher Lösungsansätze entwickeln konnte. Generell fehlt es an einer gemeinsamen Ausrichtung oder einem Grundsatzmanifest.

Eine liberale Antwort auf BRICS

Eine formelle Kooperation der westlichen Staatengemeinschaft mit der BRICS-Gruppe ist derzeit nicht vorstellbar. Dies liegt zum einen an der Heterogenität der Interessen innerhalb von BRICS, vor allem aber an den explizit gegen den Westen gerichteten Interessen einiger Mitglieder. Zum anderen fehlt BRICS noch weitgehend ein organisatorischer Unterbau: Das Bündnis hat weder einen festen Sitz noch ein Sekretariat und operiert durch rotierende Präsidentschaften der Mitgliedsstaaten.

Aus liberaler Sicht ist daher eher eine stärkere Einbindung einzelner BRICS-Staaten, etwa Brasiliens und der afrikanischen Mitgliedsstaaten, in die Global Governance der multilateralen Organisationen anzustreben – was allerdings auch mit mehr Verantwortung einhergeht. Dabei ist die Menschenrechtslage in den meisten BRICS-Staaten kritisch und widersprüchlich. Eine regelbasierte liberale Außenpolitik setzt aber voraus, dass grundlegende Menschen- und Freiheitsrechte als universell gültig angesehen werden.

Deshalb sollte beispielsweise das Handelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur endlich abgeschlossen werden, ebenso wie die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Indien.

Europa muss zur Kenntnis nehmen, dass der globale Süden tatsächlich an politischer Bedeutung gewinnt. Es liegt im geopolitischen und wirtschaftlichen Eigeninteresse Europas, neue strategische Partnerschaften mit den BRICS-Mitgliedern einzugehen. Dazu gehört im Übrigen auch, die nationale Souveränität der BRICS-Staaten zu respektieren und die Handelspolitik nicht durch Belehrungen, Auflagen oder gar Sanktionen bei vermeintlichen Verstößen gegen überzogene westliche Vorstellungen von Umwelt- oder Sozialstandards zu erschweren, die über völkerrechtlich vereinbarte Prinzipien und unstrittig angemessene Mindeststandards hinausgehen.

Deshalb sollte beispielsweise das Handelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur endlich abgeschlossen werden, ebenso wie die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Indien.

Europa muss zur Kenntnis nehmen, dass der globale Süden tatsächlich an politischer Bedeutung gewinnt. Es liegt im geopolitischen und wirtschaftlichen Eigeninteresse Europas, neue strategische Partnerschaften mit den BRICS-Mitgliedern einzugehen. Dazu gehört im Übrigen auch, die nationale Souveränität der BRICS-Staaten zu respektieren und die Handelspolitik nicht durch Belehrungen, Auflagen oder gar Sanktionen bei vermeintlichen Verstößen gegen überzogene westliche Vorstellungen von Umwelt- oder Sozialstandards zu erschweren, die über völkerrechtlich vereinbarte Prinzipien und unstrittig angemessene Mindeststandards hinausgehen.

Weckruf für den Westen

Angesichts ihrer heterogenen Zusammensetzung und Interessenlage sowie ihrer noch schwachen organisatorischen Basis wird die BRICS-Allianz in absehbarer Zeit keine ernsthafte Konkurrenz für den Westen werden können. Gleichwohl sollte die kontinuierliche Erweiterung für den Westen ein Warnsignal sein, dass auch viele mit dem Westen verbundene Mittelmächte nach alternativen oder komplementären Staatenverbünden suchen. Der Westen muss daher aktiv werden und den grundsätzlich kooperationswilligen BRICS-Staaten politische und wirtschaftliche Angebote machen. Dies gilt umso mehr, als die BRICS-Gruppe angesichts des Beitrittsinteresses Dutzender weiterer Staaten in Zukunft wachsen dürfte.

Hans-Dieter Holtzmann leitet das Büro
der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Buenos Aires.

Hans-Dieter Holtzmann leitet das Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Buenos Aires.

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