Populismus
Neue Parteien wie AfD und BSW versprechen eine Demokratie für „das einfache Volk“. Viele Menschen wünschen sich eine solch simple Vertretung ihrer Interessen. Das zeigt die Studie „Wie wir wirklich leben“. Doch ein solcher Populismus ist eine Absage an Repräsentation, Pluralismus und Kompromiss.
Text: Valentine Baumert
Populismus
Neue Parteien wie AfD und BSW versprechen eine Demokratie für „das einfache Volk“. Viele Menschen wünschen sich eine solch simple Vertretung ihrer Interessen. Das zeigt die Studie „Wie wir wirklich leben“. Doch ein solcher Populismus ist eine Absage an Repräsentation, Pluralismus und Kompromiss.
Text: Valentine Baumert
Die Landtagswahlen diesen September in Sachsen, Thüringen und Brandenburg haben eine deutliche Verschiebung der parteipolitischen Machtverhältnisse gezeigt. Die in DeutschlanDd lang etablierten Parteien schnitten historisch schlecht ab. Die höchsten Gewinne verzeichneten zwei (verhältnismäßig) junge Konkurrenten bei den Wahlen: das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und die Alternative für Deutschland (AfD). Die Bevölkerung hatte so gewählt, dass mehrheitsfähige Koalitionen ohne einen der beiden Newcomer nicht möglich waren. Die Erfolge des BSW und der AfD werden in der Öffentlichkeit oft als Ergebnisse der in den letzten Jahren viel besungenen Krise der repräsentativen Demokratie gedeutet – denn beide Parteien stehen mit ihrem Wertekanon den Grundwerten sowie der Ausgestaltung unseres demokratischen Systems zumindest teilweise entgegen.
Wird die deutsche Bevölkerung also antidemokratisch? Oder gibt es andere Gründe dafür, dass immer mehr Wählerinnen und Wähler sich diesen Parteien zuwenden?
Populismus ist nicht antidemokratisch
Das Wort „Populismus“ wird häufig verwendet, um vermeintliche demokratische Defizite des BSW und der AfD zu bezeichnen. Analog steht der Aufstieg des Populismus in der Wahrnehmung vieler für den vermeintlichen Zerfall unseres demokratischen Systems. Populistische Einstellungen sind aber zunächst eher eine andere Perspektive auf Demokratie als ihre vollständige Ablehnung.
Populismus ist eine dünne Ideologie. Sie stellt ein homogenes, gutes Volk (die „schweigende Mehrheit“) gegen eine antagonistische, korrupte Elite (die Minderheit). Im populistischen Verständnis gilt das Volk als der ultimative demokratische Souverän, dessen Wille direkt und unverfälscht umgesetzt werden sollte. Eine korrupte Elite habe das Volk seiner Macht beraubt und treffe nun Entscheidungen wider den Volkswillen. Tatsächlich ist der Kern von Populismus damit kein notwendig antidemokratischer: Wie die Populismusforscherin Margaret Canovan schreibt, verheißt Populismus, „das Versprechen der Demokratie einzulösen, dem Volk die Macht zu übertragen“.
Dieses Grundnarrativ verbreitet sich in der deutschen Bevölkerung: Die Studie „Wie wir wirklich leben“ aus dem Jahr 2022 fokussierte sich auf die Verbreitung populistischer Einstellungen in der deutschen Bevölkerung. Bei 19 Prozent der Befragten konnte eine hohe Ausprägung populistischer Einstellungen festgestellt werden. Auch im Jahr 2023 setzte sich dieser Trend in der Studie fort: Bei der Untersuchung politischer Führungsstile erwies sich unter den Befragten ein Führungsstil am beliebtesten, der „das einfache Volk“ ins Zentrum rückt und sich in erster Linie darum kümmert, dass es den Bürgerinnen und Bürgern gut geht. Ein elitärer Führungsstil, der vorschreibt, was die Menschen zu tun hätten, wurde abgelehnt.
Der Populismus verheißt, das demokratische Versprechen einzulösen, dem Volk die Macht zu übertragen.
Die Studie zeigt aber auch, dass es unter den Bundesbürgern und -bürgerinnen keine Ablehnung der Demokratie als System gibt. Ganz im Gegenteil: Eine demokratische Ausgestaltung des politischen Systems findet mehrheitlich Zustimmung. Allerdings geht, sofern man ein populistisches Verständnis von Demokratie hat, damit offenbar eine andere – und eben nicht ganz unproblematische – Vorstellung von der Ausgestaltung des demokratischen Systems einher.
Interessanterweise zeigt die Studie auch, dass rechte Einstellungen weder in Zusammenhang mit dem faktischen Einkommen und Vermögen noch der tatsächlichen Bedrohung durch Modernisierungsprozesse stehen. Vielmehr ist Angst ein deutlicher Treiber für politische Einstellungen, und zwar Angst vor der Möglichkeit von ökonomischem Abstieg und vor Prekarität.
Kein Pluralismus, kein Gemeinwohl
Wer dem populistischen Narrativ einen Moment folgt, versteht, welche Vorstellung von Demokratie damit einhergeht: Wenn der Volkswille politisch direkt und unverfälscht durchgesetzt werden muss, wird Repräsentation nicht nur überflüssig, sie wird sogar als Betrug empfunden. Handlungen innerhalb des freien Mandats von Abgeordneten werden zu antidemokratischen Entscheidungen der Elite. Da das Volk im populistischen Verständnis homogen ist, hat es auch nur einen Willen. Somit werden Mehrheitsentscheide bestimmend, Kompromisse oder politische Entscheide im Sinne gesellschaftlicher Minderheiten werden hingegen ebenfalls als Betrug am Volk ausgelegt.
Hinzu kommt eine antielitäre Perspektive, die besonders während der Corona-Pandemie populär wurde: Populisten wurden plötzlich zu den Advokaten der Freiheit des Einzelnen, die das Volk vor dem vermeintlich übermächtigen Staat und den Eingriffen der Elite in individuelle Freiheiten schützen wollten. Die Freiheit des Einzelnen hatte hier keine Grenzen mehr im Sinne des Gemeinwohls. Das Verständnis für das Spannungsverhältnis des Liberalismus, individuelle Freiheiten im Sinne des Kollektivs einschränken zu müssen, wurde abgebaut.
Demokratie ohne Kompromisse
Das populistische Demokratieverständnis ist mit der deutschen repräsentativen Demokratie unvereinbar. Seine Nähe zum demokratischen Versprechen der Ermächtigung der Bürgerinnen und Bürger macht es dabei aber so anschlussfähig. Seine Verfechter sehen sich als „wahre Demokraten“. Damit schließen sie an einen immer weiter verbreiteten Frust in der Bevölkerung über die praktisch erfahrbaren Grenzen der Volksherrschaft in Demokratien in Form von Kompromissen, Repräsentation und Output-Defiziten an. Jetzt, wo sich für große Teile der Bevölkerung immer deutlicher zeigt, dass das demokratische Ideal sich in der Praxis nie voll und ganz erfüllen kann, gewinnt der Populismus an Aufwind.
Der Zuspruch zum Populismus ist eben keine direkte Absage an die Demokratie. Er ist eine Absage an Repräsentation, Pluralismus und Kompromiss und paart sich auch deswegen so gerne mit rechtsradikalen Ideologien. Darüber hinaus ist er eine Absage an diejenigen Parteien, die durch ihre lange Tradition der vom Populismus verachteten Elite zuzuordnen sind – diejenigen also, die von vielen dafür verantwortlich gemacht werden, das Volk vermeintlich entmachtet zu haben. In der Folge wenden sich diese Bürgerinnen und Bürger solchen politischen Akteuren zu, die sich als Kämpfer für das Volk inszenieren und außerhalb der politischen Elite positionieren – die Underdogs, die Newcomer, in Form des BSW und der AfD.
Die Studienreihe „Wie wir wirklich leben“ von Philip Morris wird in Zusammenarbeit mit dem rheingold Institut durchgeführt. In diesem Jahr wurden dafür 4162 Menschen befragt. Die Studienreihe setzt sich seit 2020 jährlich mit den Entwicklungen der Gesellschaft auseinander, die als symptomatisch für Veränderungen im Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zur liberalen Demokratie gelten. Die Studienergebnisse liefern unter anderem Hinweise darauf, weswegen etablierte Parteien an Wählerstimmen verlieren, während neuere Parteien bei Bürgerinnen und Bürgern zunehmend beliebter werden.
Erfahren Sie mehr über die Studie unter
www.wiewirwirklichleben.de
Valentine Baumert ist als Senior Executive Government Affairs bei Philip Morris für die „Wie wir wirklich leben“-Studie verantwortlich.
Valentine Baumert ist als Senior Executive Government Affairs bei Philip Morris für die „Wie wir wirklich leben“-Studie verantwortlich.
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