„Alles soll schöner, bunter, besser werden“

Die Politik-Professorin Ursula Münch über komplizierte Wahlergebnisse, neues Wahlverhalten und die Bereitschaft zu Zugeständnissen.

INTERVIEW: ANDERS MERTZLUFFT

Mann von hinten im Anzug mit Konfetti

„Alles soll schöner, bunter, besser werden“

Die Politik-Professorin Ursula Münch über komplizierte Wahlergebnisse, neues Wahlverhalten und die Bereitschaft zu Zugeständnissen.

INTERVIEW: ANDERS MERTZLUFFT

Mann von hinten im Anzug mit Konfetti

Frau Professorin Münch, was sagt das Wahlergebnis eigentlich über das Wahlvolk aus?

Es sind widersprüchliche Ergebnisse. Viele Wählerinnen und Wähler sind outputorientiert und setzen auf eine zügige Regierungsbildung. Und so wird gleichzeitig verkannt, dass das angesichts der Mehrheitsverhältnisse eine schwierige Aufgabe ist. Natürlich hat jeder einzelne Wähler und jede einzelne Wählerin eigene Absichten. Nur: Bei der Wahlentscheidung wird nicht eingepreist, dass das Wahlverhalten auch zu komplizierten Ergebnissen führt.

Erleben wir gerade so eine Art Projektion für alles Mögliche Richtung Ampelkoalition?

Gut möglich. Ich erinnere mich fast schon mit Schrecken an die damaligen rot-grünen Verhandlungen 1998.

Ursula Münch
Der deutschen Öffentlichkeit fehlt es an der Bereitschaft einzusehen, dass ohne Zugeständnisse nichts geht.
Ursula Münch

Sind die Unterschiede in den einzelnen Politikfeldern zwischen SPD, Grünen und FDP wirklich so groß?

Schon. Nehmen Sie das Thema Infrastruktur und Mobilität: In den Zielen ist man sich da durchaus einig. Alles soll schöner, bunter und besser werden. Aber in den Wegen bestehen große Unterschiede. Man muss das Ganze ja irgendwie finanzieren – möglicherweise mit Schulden. Und zwischen einer unangetasteten und einer modifizierten Schuldenbremse, die Verschuldung zulässt, wenn es um Investitionen geht, also zwischen den Positionen von FDP einerseits und SPD und Grünen andererseits, besteht eben ein großer Unterschied.

Beobachten wir gerade die Transformation unseres Parteiensystems?

Angela Merkel hat als Parteivorsitzende der CDU angesichts der Überalterung der Unionswählerschaft wohl versucht, in anderen Altersklassen und anderen gesellschaftlichen Gruppen Anschluss zu finden. Das war damals durchaus erfolgreich. Heute sollten sich FDP und Grüne nicht zu früh freuen. Ihr Anteil der jüngeren Wählerinnen und Wähler ist im Vergleich zu meiner Generation, den Babyboomern und den noch Älteren, schlicht und ergreifend sehr klein.

Auf der anderen Seite sind langfristige Parteibindungen nicht mehr so stabil.

In der Wahlforschung gibt es unterschiedliche Ansätze, um das Wahlverhalten von Generationen zu erklären. Der eine Ansatz geht davon aus, man nehme sein Wahlverhalten mehr oder weniger stetig mit durchs Leben. Der andere Ansatz geht von einer gewissen Prägung aus, die dann aber doch deutliche Veränderungen im Wahlverhalten über die Zeit zulässt. Für beide Erklärungsansätze lassen sich empirisch durchaus Befunde finden.

Die gesellschaftlichen Konfliktlinien haben sich abgeschwächt. Wieso soll sich nicht auch das Wahlverhalten weiter wandeln?

Warum ändert jemand, der über 60 oder 70 ist und bislang meist Union bzw. SPD wählte, sein Wahlverhalten? Das kann unter Umständen dadurch geschehen, dass sich zum Beispiel die Jungen stärker in Debatten einbringen. Also indem die Jungen im Gespräch mit der älteren Generation dafür werben, auch ihre Themen stärker aufzunehmen. Aber in nennenswertem Umfang haben wir das bis jetzt noch nicht beobachtet.

Und die Spaltung des Parteiensystems in Ost und West?

Die relativ guten SPD-Ergebnisse, zum Beispiel in Mecklenburg- Vorpommern und in Brandenburg, haben eine ganz klare Ost-West-Trennung verhindert. Aber es stimmt, die Wahl- Landkarte zeigt eine gewisse Spaltung. Das hatte die CDU eine Zeit lang gut überwunden.

Wo steht denn die Union vier Wochen nach der Wahl?

Zerrüttet ist vielleicht ein zu großes Wort, aber aus Sicht der gesamten Union ist die Lage mindestens misslich. Ob sie wieder zu einem normalen Modus zurückfindet, bleibt offen.

Ist Markus Söder noch der starke Mann der CSU?

Ja, weil er im Grunde keine wirklich ernst zu nehmende Konkurrenz hat. Die Koinzidenz der Probleme von CSU und ÖVP ist durchaus bezeichnend. Sebastian Kurz weckte ja in Bayern geradezu Heilserwartungen. In der CSU gibt es einige, denen der Söder-Personenkult zu weit geht und die sich jetzt zu Wort melden.

Es wäre ja denkbar, dass nach der CDU auch die CSU den Generationswechsel einleitet …

Sie verkennen die Jugendlichkeit von Markus Söder. Auch im Wahlkampf hat er Wert darauf gelegt, er sei eine andere Generation als Armin Laschet.

Aber die CSU hat schon auch die Bundestagswahl verloren.

Nein, das war natürlich nur die CDU. Sie verstehen die Bayern nicht. Ich bin ja auch keine Bayerin, aber ich versuch’s immer wieder aufs Neue.

Ursula Münch, geboren 1961 in Esslingen am Neckar, ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr München sowie Direktorin der Akademie für Politische Bildung

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