ProtonMail

Spurlose Mails

Der aus Taiwan stammende Physiker Andy Yen hat ProtonMail erfunden – eine voll verschlüsselnde Nachrichtentechnologie. Mit ihr will er die Freiheit seiner Nutzerinnen und Nutzer sichern – indem er sie vor der Überwachung durch Staaten, Regime oder Konzerne schützt.

TEXT: JOHANNES RITTER

Animation: Briefumschlag mit einem sich öffnenden und schließenden Bügelschloss
Animation: Briefumschlag mit einem sich öffnenden und schließenden Bügelschloss

ProtonMail

Spurlose Mails

Der aus Taiwan stammende Physiker Andy Yen hat ProtonMail erfunden – eine voll verschlüsselnde Nachrichtentechnologie. Mit ihr will er die Freiheit seiner Nutzerinnen und Nutzer sichern – indem er sie vor der Überwachung durch Staaten, Regime oder Konzerne schützt.

TEXT: JOHANNES RITTER

Die Taliban scheren sich nicht um Datenschutz. Die Menschenrechts-
organisation Human Rights First hat im August darauf aufmerksam gemacht, dass die digitalen Spuren, die Menschen in Afghanistan auf ihren Computern und Handys sowie in den sozialen Netzwerken hinterlassen haben, sie heute in Lebensgefahr bringen können. Im Internet hat Human Rights First deshalb in mehreren Sprachen ein Handbuch bereitgestellt, das dabei hilft, den digitalen Fußabdruck zu beseitigen und sich vor digitaler Verfolgung durch die neuen islamistischen Machthaber zu schützen. Eine der Empfehlungen: ProtonMail nutzen. 

Tatsächlich zählt ProtonMail zu den sichersten E-Mail-Service-Providern der Welt – zumindest wenn ausschließlich Nutzer von ProtonMail-Accounts untereinander kommunizieren. Nutzt einer der Kommunikationspartner eine andere Technologie, entsteht eine offene Flanke. Zwischen zwei ProtonMail-Accounts jedoch werden die Nachrichten auf Servern in der Schweiz und in Deutschland in verschlüsselter Form gespeichert und auch verschlüsselt zwischen den Nutzerinnen und Nutzern übertragen. Die Daten sind so geschützt, dass selbst Proton keinen Zugriff darauf hat – anders als zum Beispiel Google bei Gmail. Mitlesen ist bei ProtonMail wegen der Verschlüsselung nicht möglich, und persönliche Nutzerdaten werden gar nicht erst erhoben. „Mit ProtonMail ist die Privatsphäre nicht nur ein Versprechen, sondern mathematisch gesichert“, sagt Andy Yen, der Gründer und Chef der Proton Technologies AG in Genf.

Privatsphäre heißt Freiheit 

ritiker gießen allerdings ein wenig Wasser in den Wein, weil die Schweizer Überwachungsgesetze weniger streng sind als in Deutschland und, infolge der Datenschutz-Grundverordnung, in der Europäischen Union. Proton verweist demgegenüber darauf, dass es nur zur Verbrechensbekämpfung aktiv werden müsse. Und wegen der Verschlüsselung sei das Einzige, worauf man überhaupt zugreifen könne, wenn die Schweizer Behörden das Unternehmen dazu verpflichteten, die IP-Adresse der Nutzerinnen oder Nutzer. Diese Identifikationsnummern würden indes nur im Einzelfall erhoben. 

Dem 33 Jahre alten Physiker ist die Sicherung der Privatsphäre der Menschen ein Herzensanliegen. Er will ausdrücklich mit seinem Unternehmen einen Beitrag für die Freiheit in der Welt leisten. „Wir stehen in Opposition zu jeder Regierung, die Freiheit zerstören will“, sagt er. Yen selbst stammt ursprünglich aus Taiwan – einem Land, dessen Einwohnerinnen und Einwohner in ständiger Angst davor leben müssen, eines Tages vom übermächtigen, immer wieder seine Ansprüche anmeldenden China überrollt und durch das autoritäre Regime ihrer Freiheit beraubt zu werden. Die chinesische Staatsregierung nutzt auch das Internet längst zur engmaschigen Überwachung und Unterdrückung der Bürgerinnen und Bürger.

Aus Enthüllungen lernen 

Den letzten Anstoß, zum unternehmerischen Freiheitskämpfer zu werden, gaben Yen die Enthüllungen des amerikanischen Whistleblowers Edward Snowden im Jahr 2013. Dieser hatte aller Welt vor Augen geführt, dass man sich nicht nur in autoritären Regimes um die Datensicherheit sorgen muss. Der heute in Russland im Exil lebende Snowden deckte auf, wie der amerikanische Geheimdienst die Internetkommunikation auch von verbündeten Staaten ausspionierte. „Das hat mich zum Nachdenken gebracht“, sagt Yen mit ernster Miene. 

Er hielt sich zu jener Zeit als Harvard-Doktorand für Teilchenphysik am Genfer Forschungsinstitut CERN auf, wo der größte Teilchenbeschleuniger der Welt steht. Beim Gespräch mit Forscherkollegen in der Cafeteria kam ihm die Idee, einen sicheren E-Mail-Dienst zu entwickeln, bei dem man nicht als Gegenleistung seine persönlichen Daten hergeben müsste. „Ich programmierte die erste Betaversion und war selbst überrascht, wie viele Leute sich dafür interessierten.“ Über eine Plattform für Crowdfunding sammelte er binnen Kurzem eine halbe Million Franken ein. 2014 verließ er CERN und gründete Proton Technologies.

Nahaufnahme Bildschirm mit Cursor auf Sende-Schaltfläche

Keine Werbung, keine Deals 

Von da an ging es steil bergauf. Die Firma zählt heute zu den am schnellsten wachsenden Technologie-Start-ups in der Schweiz. Sie hat inzwischen 360 Mitarbeiter, davon 150 in Genf und Zürich. Im Kanton Genf ist Proton gerade erst in ein nagelneues Gebäude umgezogen. Yen sitzt mit Dutzenden anderen Mitarbeitenden, darunter vielen Software-Ingenieurinnen und -Ingenieuren, in einem Großraumbüro. So transparent wie das Büro ist auch die Software, die dort entwickelt wird: Sie ist vollkommen Open Source und damit jederzeit und von jedermann überprüfbar. 

„Es ist wichtig für die Gesellschaft, dass wir die Kontrolle über unsere Daten behalten. Wenn wir die Kontrolle verlieren, ist unsere Freiheit gefährdet“, betont Yen. Auch nationale Gesetze, die den Schutz von Daten gewährleisten sollen, könnten sich ändern, selbst nach demokratischen Wahlen. Am besten mache man sich davon gar nicht erst abhängig – und zwar eben durch eine Verschlüsselung, die auf dem unbestechlichen Gesetz der Mathematik beruhe. Meinungsfreiheit und Demokratie ließen sich nur erhalten, mahnt Yen, wenn die digitale Kommunikation der Bürgerinnen und Bürger verlässlich vor dem Zugriff Dritter geschützt bleibe.

Dabei ist ihm aber nicht nur die Überwachung durch staatliche Organe ein Dorn im Auge, sondern auch die Praxis privater Unternehmen wie Google, welche die persönlichen Daten ihrer Kunden für Werbegeschäfte einsetzen. Bei ProtonMail gebe es keine Deals zulasten der Privatsphäre der Nutzerinnen und Nutzer. „Bei uns gibt es auch keine Werbung. Wir finanzieren uns allein durch die monatlichen Beiträge unserer Kunden“, erklärt Yen. Aktuell hat Proton nach eigenen Angaben mehr als 50 Millionen registrierte Kunden. Damit ist die Firma die Nummer eins unter den Anbietern sicherer E-Mail-Dienste, zu denen in Deutschland Tutanota und Posteo gehören. Freilich sind wahrscheinlich nicht mehr als zwei bis drei Prozent der Nutzer zahlende Abonnenten: Yen bietet eine einfache Gratisvariante von ProtonMail an, was für all jene Menschen besonders interessant ist, die entweder keine Kreditkarte und keinen Zugang zu Bezahltechnologien wie Paypal haben oder die auch auf diesen Kanälen sicherheitshalber keine Spuren hinterlassen wollen. 

„Wir gewinnen jeden Monat eine Million neue Kunden“, sagt Yen, der davon überzeugt ist, dass der Schutz der Privatsphäre zum ganz großen Thema werden wird. „Wir sind hier an einem Wendepunkt in der Gesellschaft.“ Die Nutzerinnen und Nutzer reagieren zunehmend sensibel, wenn sie um die Sicherheit ihrer Daten fürchten: Der zu Facebook gehörende Messengerdienst WhatsApp zum Beispiel verlor viele Millionen Kundinnen und Kunden an Konkurrenten wie Signal, als er zu Beginn des Jahres ankündigte, die Nutzungsrichtlinien zu ändern. Und Apple steckt in einer Kontroverse um Datenschutz, weil der Elektronikkonzern auf seinen Geräten Funktionen einbauen will, die kinderpornografisches Bildmaterial erkennen. Kritiker sagen, damit erschaffe Apple eine Überwachungstechnologie, die für andere Zwecke missbraucht werden könnte, gerade von autoritären Regimen.

Die Daten sind so geschützt, dass selbst Proton keinen Zugriff darauf hat.
Johannes Ritter

Krach mit Apple 

Mit Apple liegt Proton Technologies ohnehin im Clinch. Der amerikanische Internetgigant hat Proton 2018 mehr oder weniger gezwungen, die iOS-Bezahlvariante seines Dienstes im App-Store anzubieten – anderenfalls werde dort auch die Gratisversion ausgeschlossen. Das kann sich kein Digitalunternehmen leisten. Apples Motiv war leicht durchschaubar: Man wollte am Verkauf der Bezahlvariante, die Proton bisher nur über seine Website vertrieb, mitverdienen. 

Für Yen ist das ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung Apples. Im vergangenen Herbst hat er deshalb gemeinsam mit anderen Software- und Medienunternehmen wie Epic Games und Spotify ein Lobbyingteam ins Leben gerufen, die „Coalition for App Fairness“ (CAF). Die Praxis von Apple habe eine Internetökonomie hervorgebracht, die statt des Schutzes der Privatsphäre die Ausnutzung von Anwenderdaten begünstige, klagt Yen in einem Blogbeitrag. Das sei fatal. „Apples App-Store schädigt die Konsumenten in vielfacher Weise.“ 

Proton Technologies veröffentlicht keine Geschäftszahlen. Aber nach Andy Yens Aussage ist das Unternehmen seit 2016 profitabel. Man könne das Wachstum aus eigener Kraft finanzieren. Dass Proton nicht auf Kapitalgeber von außen angewiesen ist, bedeutet Yen viel: „Nur so können wir unsere Unabhängigkeit wahren und ohne Renditedruck unserer Mission folgen.“ Mehr als 80 Prozent der Proton-Aktien sind in Händen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wobei Yen davon deutlich mehr als die Hälfte besitzen dürfte. Einen der Höhe nach nicht genannten Anteil hält überdies die gemeinnützige Genfer Technologie-Stiftung FONGIT, die sich schon kurz nach der Gründung des Unternehmens engagiert hatte und später half, einen Risikokapitalgeber der ersten Stunde wieder herauszukaufen.

Etliche Male habe es Übernahmeangebote für Proton gegeben, berichtet Yen. Aber er hat keinerlei Interesse, auszusteigen und Kasse zu machen. Schließlich hat er noch viel vor. Nach E-Mail- und VPN-Services sowie Cloud-Diensten für Unternehmen sieht Andy Yen noch das gesamte Angebotsspek-
trum von Google als Betätigungsfeld vor sich. 

Johannes Ritter

Johannes Ritter ist Korrespondent der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ in Zürich.

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