EMISSIONSFREIE LUFTFAHRT

Fliegender Übergang

Die Luftfahrt hat nur noch bis 2050 Zeit, um die Vorgaben des Pariser Klimaschutzabkommens zu erfüllen. Das ist enorm ehrgeizig. Aber Geld ist genug da, und es gibt vielversprechende Ansätze – von Elektroflugzeugen bis zu nachhaltigem Flugbenzin.

TEXT: FRANK LASSAK

EMISSIONSFREIE LUFTFAHRT

Fliegender Übergang

Die Luftfahrt hat nur noch bis 2050 Zeit, um die Vorgaben des Pariser Klimaschutzabkommens zu erfüllen. Das ist enorm ehrgeizig. Aber Geld ist genug da, und es gibt vielversprechende Ansätze – von Elektroflugzeugen bis zu nachhaltigem Flugbenzin.

TEXT: FRANK LASSAK

Endlich wieder fliegen! Nach mehr als zwei Jahren weitgehender Abstinenz kommt bei vielen Menschen der Wunsch auf, in den nächsten verfügbaren Flieger zu steigen und am anderen Ende der Welt (oder auch nur auf den Kanaren) Urlaub zu machen. Für 2022 rechnet die Internationale Luftverkehrsvereinigung (IATA) nicht nur in Europa mit einem sprunghaften Anstieg der Passagierzahlen. Bis 2035 wird sich die Anzahl der Fluggäste laut IATA sogar von 3,7 Milliarden (2019) auf etwa 7,2 Milliarden fast verdoppeln. Das Klima wird sich schon nicht derart schnell wandeln – so offenbar die Hoffnung, die ein schlechtes ökologisches Gewissen beruhigen soll. Die Realität sieht freilich anders aus.

Um die kommerzielle Luftfahrt klimaneutral zu machen und umweltschonende Antriebskonzepte zur Marktreife zu bringen, sind große Ideen, mutige Politik und viel Geld nötig. Und das möglichst schnell: Derzeit verbrennen Verkehrsflugzeuge in aller Welt pro Tag rund 6 Millionen Barrel Kerosin. Der Treibstoff wird bislang nahezu ausschließlich aus Erdöl gewonnen. Durch seine Verbrennung gelangen jedes Jahr Abermilliarden Tonnen CO2 und andere klimaschädliche Gase in die Atmosphäre. Airlines, Flugzeugbauer, Triebwerkshersteller und Treibstoffproduzenten geloben daher eifrig Besserung. Es bleibt ihnen auch gar nichts anderes übrig: Wer künftig Maschinen in die Luft bringen will, muss sauber fliegen. Nur noch bis 2050 hat die Branche Zeit, um die Emissionsvorgaben des Pariser Klimaschutzabkommens zu erfüllen. Es bleiben weniger als 30 Jahre für die Umstellung – ein ehrgeiziges Vorhaben.

Bis 2035 wird sich die Zahl der Passagiere vom Vor-Corona-Niveau nochmals verdoppeln.

Milliarden an Staatshilfen

Etliche Airlines nutzen zurzeit die infolge der Corona-Pandemie eingetretene Flaute, um ihre Flotten zu modernisieren. Das Ziel besteht darin, dass möglichst viele Maschinen künftig emissionsarm oder, noch besser, emissionslos fliegen. Das für den Umbau nötige Kapital ist vorhanden. Die Branche hat in den vergangenen zwei Jahren mehr als 140 Milliarden Dollar an staatlicher Unterstützung in aller Welt eingesammelt, um drohende Pleiten abzuwenden. Obwohl nur rund 10 Prozent dieser Finanzhilfen an die Bedingung geknüpft sind, dass sich die Unternehmen klimaneutral aufstellen, ist den Fluggesellschaften durchaus bewusst, dass die Kerosin-Ära zügig beendet werden muss. Im Kurzstreckensegment, auf regionalen Routen und auf dem gerade entstehenden Markt für elektrisch angetriebene Flugtaxis sollen schon Ende des Jahrzehnts nachhaltige Angebote nutzbar sein. Elektro-Flugtaxis zum Beispiel könnten spätestens in zehn Jahren am Himmel über den Metropolen zum Alltag gehören, sagt Daniel Wiegand, Gründer und CEO des Flugzeugherstellers Lilium.

Das börsennotierte Unternehmen aus dem bayerischen Wessling hat jüngst einen elektrisch angetriebenen, siebensitzigen Senkrechtstarter entwickelt, der den innerstädtischen Nahverkehr entlasten soll. Ende des Jahres will man dafür die Zulassung beim Luftfahrtbundesamt beantragen. Neben Lilium tummeln sich Dutzende weitere Firmen, darunter zahlreiche Start-ups, in dem lukrativen Segment, dessen Umsatzvolumen laut einer Roland-Berger-Studie ab 2050 jährlich rund 90 Milliarden Dollar betragen wird. Nicht nur in Städten, auch auf Kurzstrecken setzen einige Airlines auf Elektroflugzeuge. So will die norwegische Widerøe Air, die vom Festland auf die Lofoten fliegt, bereits 2026 den Großteil der Flüge mit batteriebetriebenen Maschinen bestreiten. Und auch im Nachbarland Schweden sind nachhaltige Flugpioniere am Werk: Die vom Hersteller Heart Aerospace ebenfalls für 2026 angekündigte Elektroversion der 19-sitzigen ES-19 kann schon vorbestellt werden. Zu den ersten Kunden zählt Finnair.

Elektro-Flugtaxis könnten in zehn Jahren zum Alltag gehören.

DANIEL WIEGAND, FLUGZEUGBAUER

Bei Großflugzeugen wird der Wandel länger dauern

Im Mittel- und Langstreckensegment wird der Wandel dagegen nicht so schnell stattfinden. Großraumflugzeuge könnten aufgrund des hohen Gewichts der erforderlichen Batterien oder Brennstoffzellen gar nicht abheben. Die für andere nachhaltige Antriebsarten nötige Technologie und Infrastruktur steckt erst in den Kinderschuhen – oder ist noch gar nicht vorhanden. Überdies wollen die meisten Airlines ihre aktuellen Flotten aus Gründen der Wirtschaftlichkeit erst in 20 oder mehr Jahren ausmustern. In der Zwischenzeit müssen die Emissionen bei Mittel- und Langstreckenflügen dennoch gesenkt werden, zum Beispiel durch den Einsatz von Sustainable Aviation Fuel (SAF): nachhaltigem Flugbenzin, mit dem auch heutige Maschinen abheben können, ohne extra umgerüstet zu werden. Für diesen „Übergangszeitraum“, wie Lufthansa-Chef Carsten Spohr die Zeitspanne nennt, bis emissionsfreie Flugzeuge zum Einsatz kommen, gilt bei Mittel- und Langstrecken synthetisches Kerosin als Ersatztreibstoff der Wahl. Erst ab 2035 ist laut Spohr mit komplett nachhaltigen Mittel- und Langstreckenflügen zu rechnen, bei denen vermutlich Wasserstoff als Treibstoff eingesetzt werde.

Diesen Zeitpunkt hält auch Airbus für realistisch. Denn „nicht nur die Maschinen müssen völlig neu konstruiert werden“, sagt Jeff Knittel, Chef der amerikanischen Sparte des Flugzeugherstellers. „Das nachhaltige Fliegen mit Wasserstoffantrieb erfordert auch einen gravierenden Umbau der Infrastruktur am Boden, der mit hohen Kosten verbunden ist.“ Seit September 2020 entwickelt Airbus mit GE Aviation und Safran Aircraft Engines einen Prototyp für Zero-E-Langstreckenpassagierflugzeuge auf Basis des A 380. Ende Februar 2022 wurde das Projekt vorgestellt. Falls es sich als praxistauglich erweise, sagt Knittel, wären emissionsfreie Langstreckenflüge gegen Ende des kommenden Jahrzehnts machbar.

Bis dahin müssen die Projektpartner, zu denen mehrere große Fluggesellschaften und Verkehrsflughäfen zählen, noch diverse technische Probleme lösen: Bislang ist unklar, aus welchem Material die Turbinen bestehen müssen, unter anderem, weil Wasserstoff bei weitaus höheren Temperaturen verbrennt als Kerosin. Zudem sei das leicht entflammbare Gas zehnmal so schnell aufgebraucht wie der bislang verwendete Flüssigtreibstoff, erklärt die Airbus-Technologiechefin Sabine Klauke. Dennoch peile man für 2026 den ersten Testflug mit einem umgerüsteten A 380 an. Dann werde sich herausstellen, „wann der gesamte globale Luftverkehr nachhaltig werden kann“.

Der schwedische Hersteller Heart Aerospace will für seinen Elektro-Flieger 2026 die Zulassung erhalten. Er soll 19 Passagiere befördern.

Der schwedische Hersteller Heart Aerospace will für seinen Elektro-Flieger 2026 die Zulassung erhalten. Er soll 19 Passagiere befördern.

Gefährlicher Wasserdampf

Wobei Vorsicht mit dem Etikett „nachhaltig“ geboten ist, wie der Luftfahrtexperte Andreas Spaeth zu bedenken gibt: „Zwar wird bei der Wasserstoffverbrennung kein CO2 emittiert, dafür aber eine große Menge Wasserdampf – pro Energieeinheit sogar zweieinhalb Mal so viel wie bei der Verbrennung von Kerosin. Und Wasserdampf ist ein viel schlimmeres Treibhausgas als Kohlendioxid.“ Bei Airbus sei man sich des Problems bewusst, versichert Klauke: „Die klimaschädlichen Folgen des Wasserdampfausstoßes haben wir im Blick und arbeiten daran, sie so gering wie möglich zu halten.“ Derweil könnten Mittel- und Langstreckenmaschinen mit synthetischem Kerosin betankt werden. Allerdings ist dieser Treibstoff rund viermal so teuer wie aus Erdöl gewonnenes Flugbenzin. Aufgrund der sich verschärfenden Klimakrise haben Hersteller und Gesetzgeber aber erkleckliche Summen in Forschungsprojekte gesteckt, die nachhaltiges Kerosin verbilligen sollen. Einer der chancenreichsten Ansätze heißt „Sun to Liquid“ (STL). Die von der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt, dem Technologie-Cluster Bauhaus Luftfahrt, der ETH Zürich und der spanischen Forschungsgruppe IMDEA entwickelte Technik wandelt CO2 und Wasser mithilfe von Solarenergie zunächst in Synthesegas um: ein Gemisch aus Kohlenmonoxid (CO) und Wasserstoff (H2). Anschließend reagieren die beiden Komponenten miteinander. Dabei entsteht unter anderem Kerosin.

Gemäß einer Berechnung von Bauhaus Luftfahrt reicht bereits ein kleiner Anteil der globalen Wüstenflächen aus, um den gesamten zivilen Flugverkehr mit synthetischem Kerosin aus solargetriebenen „Sun to Liquid“-Anlagen zu versorgen. Rund 6000 solcher Fabriken für nachhaltiges Kerosin seien nötig. Zum Vergleich: Für die Herstellung von Kerosin aus Biomasse – ein Verfahren, das derzeit ebenfalls erforscht wird – müssten 150 000 Produktionsanlagen gebaut werden. Problematisch gestalte sich beim STL-Verfahren indes die Beschaffung von Kohlendioxid: „In den benötigten Mengen steht CO2 nicht als Abfallprodukt zur Verfügung“, sagt Andreas Sizmann, der das „Sun to Liquid“-Projekt bei Bauhaus Luftfahrt leitet. Um den Bedarf zu decken, müsse man zusätzliches CO2 aus der Atmosphäre extrahieren. Damit gehe ein „signifikanter Energie- und Kostenaufwand“ einher. Das sei aber kein Ausschlusskriterium. Denn der Wirkungsgrad des Verfahrens, also die Ausbeute an Flugbenzin, sei „im Vergleich zu fossilem oder aus Biomasse gewonnenem Kerosin um ein Vielfaches höher“.

Hersteller und Gesetzgeber stecken viel Geld in die Forschung, um nachhaltiges Kerosin zu verbilligen.

Die ermutigenden Ergebnisse seien seit Ende 2019 bekannt, sagt der Projektleiter, und auf dem Weltklimagipfel im November 2021 gewann das STL-Team sogar den begehrten „Energy Globe World Award“. Ob das Verfahren aber jemals zur Marktreife gelangt, ist ungewiss. Gerade schreibt Sizmann einen neuen Förderantrag, „damit wir die Technik endlich in industriellem Umfang erproben können“.

Frank Lassak arbeitet als Wirtschaftsjournalist in Berlin. Themen aus dem Energie- und Transportsektor interessieren den gebürtigen Hamburger besonders.

Frank Lassak arbeitet als Wirtschaftsjournalist in Berlin. Themen aus dem Energie- und Transportsektor interessieren den gebürtigen Hamburger besonders.

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