FACHKRÄFTEMANGEL

„Ein Bier bitte, Frau Roboter!“

Reif für die Disruption: Die ersten Gastronomen begegnen dem Fachkräftemangel mit Service-Robotern und automatisierten Küchen-Bots.

TEXT: MARGARET HECKEL

FACHKRÄFTEMANGEL

„Ein Bier bitte, Frau Roboter!“

Reif für die Disruption: Die ersten Gastronomen begegnen dem Fachkräftemangel mit Service-Robotern und automatisierten Küchen-Bots.

TEXT: MARGARET HECKEL

An der Ostsee, im Hafenrestaurant Grömitz, ist Bella der Star. Der Service-Roboter fährt Bier und frische Bandnudeln an die Tische, nimmt die abzuräumenden Teller wieder mit und bedankt sich für freundliche Worte mit einem Grinsekatzen-Display. Es gehe ihm nicht darum, Menschen durch Roboter zu ersetzen, sagt der Restaurantinhaber Tim Bornewasser. Vielmehr wolle er das Personal von lästigen Laufarbeiten befreien und den Service noch besser machen. Noch ist Bornewasser mit dieser Entscheidung Avantgarde. Keine hundert Roboter waren zu Anfang dieses Jahres in Deutschland im Einsatz. Doch die Gastronomie erscheint reif für die Disruption. Der Fachkräftemangel verschärft sich weiter und führt zu kräftigen Tariflohnsteigerungen von mehr als 20 Prozent. In Deutschland fehlen bereits mehrere Zehntausend Mitarbeitende.

Viele sind in der Folge der coronabedingten Restaurantschließungen in andere Wirtschaftszweige abgewandert. Die Löhne liegen derzeit oft unter zehn Euro die Stunde, die Bedingungen sind schlecht. Die Branche ist geprägt von Minijobs, Schwarzarbeit, unberechenbaren Dienstplänen und starker Fluktuation. Die Abgewanderten werden wahrscheinlich auch dann nicht zurückkommen, wenn die Löhne steigen und sich die Arbeitsbedingungen verbessern. Selbst die Sterne-Gastronomie sucht bereits händeringend nach Mitarbeitenden. Etliche Top-Restaurants haben inzwischen mittags geschlossen, weiten ihre Ruhetage aus und versprechen Jungköchinnen und Servicekräften verlässliche Dienstpläne und kürzere Schichten.

Die Roboter-Frau „Bella“ serviert alles vom Bier bis zu Bandnudeln.

Die Roboter-Frau „Bella“ serviert alles vom Bier bis zu Bandnudeln.

Bestellung per App

Angesichts des Fachkräftemangels kommt es wie gerufen, dass Roboter-Hersteller mittlerweile nicht nur Bedienhelfer, sondern auch ganze autonome Kochsysteme anbieten. Während der Olympischen Winterspiele in Peking im Februar präsentierte China sogar eine Kantine ohne menschliche Köche und Kellner: Roboter kochten je nach Geschmack der Gäste westlich oder asiatisch. Auf Transportbändern an der Decke wurde das per App bestellte Essen an den Tisch befördert und auf Greifhöhe des Gastes abgesenkt. Es hieß dann nur noch zugreifen – ganz coronakonform. In Paris und seit kurzer Zeit auch in Brüssel bereiten vier Roboterarme in der Pizzeria „Pazzi“ frische Teigfladen zu. Ein französischer Roboter-Wissenschaftler hat das System erfunden und patentieren lassen. Drei Studenten der amerikanischen Eliteuniversität MIT eröffneten 2020 in Boston das „Spyce“: ein komplett computergesteuertes Restaurant für Bowls – Gerichte, bei denen alle Zutaten in eine Schüssel kommen und dort auch zubereitet werden. 

Und wer das Dachrestaurant „The View“ in der Mailänder Via Silvio Pellico besucht, hat nicht nur einen wunderbaren Blick auf den Dom, sondern darf sich auch auf einen ganz besonderen Drink freuen: Die Cocktails werden von Toni gemacht, einem Bar-Roboter. Zwei weiße Roboterarme schaffen bis zu 240 Drinks pro Stunde – und offerieren dabei jede Kombination, die die Gäste auf ihrer Smartphone-App bestellen. Mehr als zwei Millionen Drinks hat das von der Turiner Firma Makr Shakr produzierte System bereits hergestellt.

240 Drinks pro Stunde

Auch Privatkunden können sich inzwischen eine Computerküche einrichten lassen, in der Roboter das Essen zubereiten. Mehrere Tausend Rezepte hat das System der britischen Firma Moley schon im Angebot. Mit einem Startpreis von 75 000 Dollar ist der heimische Kochroboter fürs Erste aber eher eine Spielerei für Reiche, die sonst schon alles haben. In den professionellen Gastroküchen jedoch können die Maschinen schon jetzt finanziell Sinn ergeben. Vor allem in der Systemgastronomie kommen immer mehr Varianten zum Einsatz. Das kalifornische Start-up Miso Robotics hat im vergangenen November den „Flippy 2“ vorgestellt, eine voll automatisierte Fastfood-Produktionseinheit. Alles, was gebraten und frittiert wird, kann Flippy inzwischen herstellen. Miso Robotics arbeitet eng mit der amerikanischen Fastfoodkette „White Castle“ zusammen und bietet Flippy 2 dezidiert als Reaktion auf den Fachkräftemangel in der Systemgastronomie an.

„Robot as a Service“ heißt das neue Angebot: Ab 3000 Dollar pro Monat können Fastfood-Restaurants die automatisierten Bratstationen anmieten. Miso Robotics trainiert dazu die Mitarbeiter und bringt ihnen bei, wie sie die Roboter bedienen. Der Miso-CEO Mike Bell verkauft sein Angebot auch als eine „Befreiung“ der Mitarbeitenden, die sonst für Mindestlohn in einer heißen und hektischen Küche im Minutentakt standardisiertes Essen herstellen müssten: „Roboter machen jetzt Roboterarbeit, und die Menschen können Menschenarbeit machen.“

Roboter machen Roboterarbeit und die Menschen können Menschenarbeit machen.

MIKE BELL, CEO VON MISO ROBOTICS

Entlastete Servicekräfte

Das sieht Tim Bornewasser vom Hafenrestaurant Grömitz ähnlich. „Die sonst unvermeidbaren Laufwege und das körperlich belastende Tragen des Essens fallen für die Servicekräfte weg“, ist auf einer eigens eingerichteten Seite seiner Web-Präsenz über Bella, seinen Bedienroboter, zu lesen: „Die Servicekräfte werden stark entlastet, sind deutlich zufriedener und bleiben für den Gast jederzeit erreichbar und ansprechbar.“ Rund 20 000 Euro hat sein Service-Roboter gekostet. Nach der im Herbst dieses Jahres fälligen Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro die Stunde hat der „Bellabot“ also rein rechnerisch nach 1666 Stunden seine Investitionskosten wieder eingefahren. Bei Acht-Stunden-Schichten sind das 208 Tage oder knapp sieben Monate. Zwar muss auch der Bellabot geladen und gewartet werden, doch Sozialabgaben produziert er natürlich nicht.

Mittelalter trifft Zukunft

Für Silvio Kuhnert vom Landhotel „Zum grünen Baum“ in Taltitz im Vogtland geht diese Rechnung klar auf. Der Gastwirt hat gleich zwei Roboterkellner angeschafft und so gute Erfahrungen mit ihnen gemacht, dass er im April mit ihnen ein neues Erlebnisrestaurant namens „Zeitsprung“ eröffnen wird. Optisch soll es dort wie im Spätmittelalter aussehen, technisch aber sind alle Finessen des 21. Jahrhunderts vorhanden: Die Gäste ordern digital, können an jedem Tisch ihre eigene Raumtemperatur, Lichtfarbe und Helligkeit einstellen – und werden von Bella und Robby bedient, den Service-Robotern.

Margaret Heckel ist freie Journalistin, Moderatorin und Buchautorin. Sie hat sich auf den demografischen Wandel und die sich verändernde Arbeitswelt spezialisiert. Sie lebt in Potsdam.

Margaret Heckel ist freie Journalistin, Moderatorin und Buchautorin. Sie hat sich auf den demografischen Wandel und die sich verändernde Arbeitswelt spezialisiert. Sie lebt in Potsdam.

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