KRIEG IN EUROPA

Propaganda und Repression

In Russland gerät die Meinungsfreiheit unter die Räder. Das Staatsfernsehen verbreitet Desinformation, unabhängige Medien werden drangsaliert.

TEXT: IRINA BOROGAN UND ANDREJ SOLDATOW

KRIEG IN EUROPA

Propaganda und Repression

In Russland gerät die Meinungsfreiheit unter die Räder. Das Staatsfernsehen verbreitet Desinformation, unabhängige Medien werden drangsaliert.

TEXT: IRINA BOROGAN UND ANDREJ SOLDATOW

Russlands Vernichtungswerk in der Ukraine ist von massiver Propaganda, Desinformation und Repression im eigenen Land begleitet. Der Kreml sucht mit aller Macht zu verhindern, dass eine große Zahl von Bürgern mitbekommt, welche Verheerungen er in der Ukraine gerade anrichtet. Eine intensive gesellschaftliche Diskussion kann so nicht stattfinden, geschweige denn offener Protest. Auch auf die Straße trauen sich nur wenige Menschen. Nach dem Überfall im Februar wagten sich nur wenige mutige Personen ins Zentrum Moskaus, um dort gegen den Angriffskrieg zu protestieren. Sie wurden allesamt prompt festgenommen. Seither sind die Demonstrationen zwar häufiger und größer geworden, aber die Behörden greifen jedes Mal mit erschreckender Härte durch.

Das Staatsfernsehen strahlt unablässig anti-ukrainische Propaganda aus. So haben sich viele Russen von den Ukrainern entfremdet.

Demonstrationen 2014

Das war vor sieben Jahren noch anders, als sich Russland die Krim einverleibte. Damals, im Jahr 2014, glich die russische Gesellschaft einem aufgeregten Bienenstock. Sie war gespalten, zunächst wegen der Maidan-Revolution und später wegen der Krim. Die Bürger lieferten sich hitzige Debatten auf Facebook und Twitter. Die Debatte beschränkte sich damals aber nicht nur auf das Internet und die virtuellen Medien. Im September 2014 gingen vielmehr allein in Moskau Zehntausende liberal gesinnter Bürger und Bürgerinnen auf die Straße und demonstrierten gegen den Krieg. Die liberalen Medien berichteten ausführlich über die Proteste und trugen somit zur Debatte in der Gesellschaft bei.

Seit 2014 läuft nun allerdings eine umfangreiche Propagandakampagne des Kremls. Das Staatsfernsehen strahlt unablässig anti-ukrainische und anti-westliche Propaganda aus, mit dem Ergebnis, dass die Russen immer weniger Belastbares über ihre Nachbarn im Westen wissen. Die Gegenkampagne aus dem Ausland, die fast täglich die aggressive Haltung Russlands hervorhob, kam dagegen zumindest nicht vollständig an. So haben sich viele Russen von den Ukrainern entfremdet. Gelähmt von einem allgemeinen Gefühl der Müdigkeit, mangelt es vielen Bürgern inzwischen auch schlicht an Interesse.

Es ist in Russland generell gefährlich geworden, sich zur Ukraine zu äußern. Beispielhaft dafür steht der Angriff kremlfreundlicher Aktivisten auf das Büro des angesehenen Menschenrechtszentrums Memorial in Moskau im Oktober 2021 – während einer öffentlichen Veranstaltung, auf der ein ukrainischer Film über den Holodomor gezeigt wurde, jene in den dreißiger Jahren von Stalin verursachte Hungersnot in der Ukraine, der Millionen von Menschen zum Opfer fielen. Die Polizei rückte an. Doch statt die Schläger festzunehmen, beendete sie die Veranstaltung. Bald darauf wurde Memorial verboten und aufgelöst.

Alexei Wenediktow war Chefredakteur des kritischen Radiosenders Echo Moskau. Anfang März ließ der Kreml den Sender schließen, das Personal wurde entlassen.

Alexei Wenediktow war Chefredakteur des kritischen Radiosenders Echo Moskau. Anfang März ließ der Kreml den Sender schließen, das Personal wurde entlassen.

Jagd auf ukrainische Spione

Dass der russische Geheimdienst FSB 2014 unmittelbar nach der Annexion der Krim eine Jagd auf ukrainische Spione eröffnete, war dem Sicherheitsempfinden vieler Menschen und der Meinungsfreiheit im Land auch nicht eben zuträglich. Viele Einheimische in den besetzten Gebieten haben zu viel Angst, um überhaupt mit Journalisten zu sprechen. Dem russischen Publikum ist infolgedessen weitgehend unbekannt, wie sich beispielsweise seit der Annexion die Lebensbedingungen auf der Krim verändert haben. Die Menschen in der Ostukraine, die von kremlnahen Kräften kontrolliert werden, sind ebenfalls nicht in der Lage, das Regime, unter dem sie seit 2014 leben müssen, offen zu kritisieren.

Auch in den sozialen Medien ist das nicht besser. VKontakte (VK), das beliebteste soziale Medium des Landes, wechselte 2014 den Besitzer. Der Grund: Sein Eigentümer hatte sich damals geweigert, persönliche Daten der Demonstranten auf dem Maidan in Kiew an die russischen Sicherheitsdienste weiterzugeben. Seitdem arbeitet VK, das nun vollständig unter der Kontrolle des Kremls steht, eng mit den russischen Sicherheitsdiensten zusammen und unterdrückt Hunderte von Bloggern, die durch Kreml-Kritik aufgefallen waren. So wurde es immer gefährlicher, auf VK eine Diskussion über die Ukraine zu führen. Ebenso unmöglich wurde es, die Sichtweise der Ukrainer zu hören, da die ukrainische Regierung im Mai 2017 die Nutzung von VK in der Ukraine verboten hat.

Die Drangsalierung der unabhängigen Presse tut ein Übriges. In den Jahren 2014 und 2015 hatten noch alle drei liberalen Moskauer Tageszeitungen – „Kommersant“, „RBC“ und „Vedomosti“ – ausführlich über die Ereignisse in der Ukraine berichtet. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Seit 2014 haben diese Medien aufgrund des Drucks des Kremls eine ständige Abwanderung von Journalisten erlebt, was sich auch auf ihre Berichterstattung in die Ukra-ine ausgewirkt hat. Heute gibt es nur noch eine einzige Zeitung, in der man eine ehrliche Berichterstattung über die Ereignisse in der Ostukraine finden kann und die für Russen noch als gedruckte Ausgabe erhältlich ist: die „Nowaja Gaseta“, mit einer Auflage von gerade einmal etwa 100 000 Exemplaren (2015 waren es mehr als 200 000).

Mit der freien Berichterstattung im Fernsehen sieht es nicht besser aus. TV Doschd, der einzige kremlkritische russische Fernsehsender, stand schon seit Januar 2014 unter Druck und wurde kurz darauf aus den Kabelnetzen des Landes geworfen, sodass er nur noch per Internet empfangen werden konnte. Dennoch blieben die Journalisten des Senders auf der Krim und später in der Ostukraine aktiv. Doch die Arbeit wurde schwieriger, weil die Ukra-ine Ausstrahlungen von TV Doschd im Kabelnetz 2017 verbot. Im August 2021 wurde der Sender dann von der russischen Zensur als „ausländischer Agent“ klassifiziert. Am 1. März 2022, nach der russischen Invasion, wurde er wegen seiner nicht der offiziellen Propaganda entsprechenden Berichterstattung von den Moskauer Behörden gesperrt.

Es gibt nur noch eine Zeitung, in der man eine ehrliche Berichterstattung über die Ostukraine finden kann – mit gerade mal 100 000 Exemplaren.

Weitere Stimmen versiegen

Der Bann traf zunächst auch ausländische Medien, unter anderem BBC und Deutsche Welle. Seit nun auch noch angebliche „Fakes“ über den Ukraine-Krieg mit hohen Geldstrafen oder Gefängnis geahndet werden, ziehen viele Auslandsmedien vorsichtshalber ihre Korrespondenten ab. Das Ergebnis: Sowohl für das Ausland als auch für die Russen selbst verstummen weitere verlässliche Stimmen zum Geschehen im Land. Die Online-Medien in Russland sind ebenfalls seit 2014 unter Druck. Im März 2014, drei Tage vor dem von Moskau inszenierten Referendum über die Krim-Annexion, blockierte die russische Internetzensurbehörde Roskomnadsor drei unabhängige oppositionelle Nachrichtenmedien – Kasparow.ru, Ej.ru und Grani.ru. Bei den drei gesperrten Websites handelte es sich um beliebte liberale Plattformen, die kremlkritischen Intellektuellen, Journalisten und Aktivisten ein Forum boten. Die Seiten sind nach wie vor gesperrt.

Das beliebteste Online-Medium im Jahr 2014 war Lenta.ru. Auch dieses Medium stand dem Kreml kritisch gegenüber und berichtete ausführlich über die Annexion der Krim. Allerdings wurde es im März 2014 auf Anweisung des Kremls von seinen Eigentümern gelöscht. Die Journalisten von Lenta zogen nach Riga, wo sie stattdessen Meduza gründeten. Meduza ist nach wie vor das beliebteste Online-Medium auf Russisch und in Russland. Kürzlich wurde auch Meduza von den russischen Behörden als „ausländischer Agent“ eingestuft. In der Folge verließen viele Mitarbeiter das Portal. Jetzt verfügt Meduza nur noch über begrenzte Ressourcen, um Reporter in die Ukraine zu schicken. Andere Online-Medien, die früher noch über die Geschehnisse in der Ukra-ine berichteten, beschränken sich heute auf die Veröffentlichung von Kurznachrichten und knappen Kommentaren. Das hat nicht nur mit dem gegenwärtigen Krieg zu tun: Schon in den vergangenen sieben Jahren war es für russische Journalisten schwieriger geworden, die Ukraine zu besuchen und dort zu recherchieren; jedem, der zuvor auf der Krim gewesen war, wurde die Einreise in die Ukraine verweigert. Aber auch die Selbstzensur spielte eine Rolle, vor allem die Furcht vor zunehmender Bedrängung durch die russischen Behörden.

Irina Borogan und Andrej Soldatow sind russische Investigativjournalisten und Geheimdienstexperten. Sie leiten das im Jahr 2000 gegründete kritische Nachrichtenportal Agentura.ru. Zuletzt veröffentlichten sie gemeinsam das Buch „The Compatriots: The Brutal and Chaotic History of Russia's Exiles, Émigrés, and Agents Abroad“ (Public Affairs, 2019).

Irina Borogan und Andrej Soldatow sind russische Investigativjournalisten und Geheimdienstexperten. Sie leiten das im Jahr 2000 gegründete kritische Nachrichtenportal Agentura.ru. Zuletzt veröffentlichten sie gemeinsam das Buch „The Compatriots: The Brutal and Chaotic History of Russia's Exiles, Émigrés, and Agents Abroad“ (Public Affairs, 2019).

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