STUDIE ZUR FREIHEIT
Was bedeutet den Menschen in modernen Gesellschaften die Freiheit und wie sehen sie diese in ihrer Heimat verwirklicht? Das sind die Kernfragen einer 15 Länder umfassenden Studie. Die Ergebnisse sind spannend – gerade im internationalen Vergleich.
TEXT: BERNHARD WESSELS
STUDIE ZUR FREIHEIT
Was bedeutet den Menschen in modernen Gesellschaften die Freiheit und wie sehen sie diese in ihrer Heimat verwirklicht? Das sind die Kernfragen einer 15 Länder umfassenden Studie. Die Ergebnisse sind spannend – gerade im internationalen Vergleich.
TEXT: BERNHARD WESSELS
Freiheit ist nicht voraussetzungslos. Sie muss auch ausgeübt werden können. Um herauszufinden, wie es darum bestellt ist, hat die Friedrich-Naumann-Stiftung in der Studie „Subjektive Freiheit – Persönliche Erwartung und Wahrnehmung“ speziell das persönliche Freiheitsempfinden und die Einschätzungen der Menschen zum Grad der tatsächlich gegebenen persönlichen Freiheit erfragen lassen. In dieser Herangehensweise liegt natürlich die Annahme, dass Wunsch und Wirklichkeit nicht unbedingt zusammenfallen müssen – zumal in einer internationalen Befragung auch unterschiedliche Staatsverständnisse und eine unterschiedliche demokratische Kultur für die individuellen subjektiven Orientierungen und Beurteilungen der Bürgerinnen und Bürger wie auch für ihr Freiheitsbedürfnis bedeutsam sind.
Die Fragen: Wie wichtig sind Ihnen Rechtsstaat, Bürger- und Menschenrechte, Meinungsfreiheit und Privatsphäre? Inwieweit sehen Sie diese in Ihrem Land verwirklicht?
Globaler Überblick
Wir haben nicht nur Menschen in etablierten Demokratien befragen lassen, sondern eine große Variation an Ländern ausgesucht, ausgerichtet am Index der Washingtoner NGO Freedom House. Zu den freien Nationen, in der Literatur der Demokratieforschung auch als „liberal democracies“ bezeichnet, zählen Deutschland, Spanien und Taiwan mit einem Gesamtindexwert bei Freedom House über 90 sowie die immer noch freien, aber etwas weniger gut beurteilten Länder wie die Vereinigten Staaten, Polen, Südkorea und Südafrika mit Werten über 80 und Brasilien mit einem Wert von 76. Zu den nur teilweise freien Ländern, den „semi-liberal democracies“, zählen Indien, Indonesien, Mexiko und die Ukraine mit Werten um 60. Zu den nicht freien Staaten („autocracies“) gehören die Türkei, Russland und China mit sehr viel niedrigeren Werten um 30 und geringer. In diesem Beitrag steht der Vergleich zwischen liberalen und semi-liberalen Demokratien im Vordergrund.
Die Bürgerinnen und Bürger wurden zu verschiedenen Aspekten der Themen Rechtsstaat, Bürger- und Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Privatsphäre sowie zu den Aspekten Bildung, Arbeit, Wirtschaft und Gesundheit dahingehend befragt, wie wichtig ihnen diese sind und inwieweit sie diese in ihrem Land verwirklicht sehen. Es gab vier Antwortkategorien von „extrem wichtig“ bis zu „nicht allzu wichtig“ sowie von „trifft voll und ganz zu“ bis „trifft überhaupt nicht zu“. Die Kernfrage war: Wie breit ist die volle Unterstützung der verschiedenen für die Freiheit relevanten Dimensionen im Durchschnitt in den 12 Ländern verankert, in dem Sinne, dass die Befragten ihnen extreme Wichtigkeit beimessen? Wie groß ist der Anteil derjenigen, die alle Elemente als ex-trem wichtig einstufen? Das Ergebnis lautet: In der Dimension Privatsphäre und ihren vier Elementen sind es im Gesamtdurchschnitt 26 Prozent, in der Dimension Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte und den neun zugehörigen Elementen sind es 24 Prozent, für die sechs Elemente des Themas Arbeit, Wirtschaft und Gesundheit 17 Prozent, für die fünf Elemente der Meinungsfreiheit 13 und für die drei Elemente der Bildung 12 Prozent (Abb. 1).
Die Washingtoner Nicht-regierungsorganisation
Freedom House gibt in ihrem jährlichen Report für jedes Land den Grad der Freiheit auf einer Skala von 0 bis 100 an. Die Kriterien gehen auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN-Vollversammlung von 1948 zurück. Es fließen zahlreiche Faktoren ein, darunter die Möglichkeiten politischer Teilhabe, Meinungs- und Glaubensfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und der Schutz der Privatsphäre. Unterteilt sind die Länder in die Kategorien „frei“, „teilweise frei“ und „nicht frei“. Deutschland erhält mit 94 denselben Wert wie Taiwan. Spitzenreiter mit 100 Punkten sind Finnland, Norwegen und Schweden. www.freedomhouse.org
Die Washingtoner Nicht-regierungsorganisation
Freedom House gibt in ihrem jährlichen Report für jedes Land den Grad der Freiheit auf einer Skala von 0 bis 100 an. Die Kriterien gehen auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN-Vollversammlung von 1948 zurück. Es fließen zahlreiche Faktoren ein, darunter die Möglichkeiten politischer Teilhabe, Meinungs- und Glaubensfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und der Schutz der Privatsphäre. Unterteilt sind die Länder in die Kategorien „frei“, „teilweise frei“ und „nicht frei“. Deutschland erhält mit 94 denselben Wert wie Taiwan. Spitzenreiter mit 100 Punkten sind Finnland, Norwegen und Schweden. www.freedomhouse.org
Der Zusammenhang zwischen der Relevanz der drei zentralen Dimensionen von Freiheit, also Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und Privatsphäre, und den Dimensionen, die zu den Voraussetzungen dafür gezählt werden können, diese Freiheit auszuüben, ist sehr eng. Überall dort, wo die drei Freiheitsdimensionen als extrem wichtig bewertet werden, ist mithin auch die Bewertung von Arbeit, Wirtschaft, Gesundheit und Bildung hoch. Aus einer globalen Perspektive lässt sich dabei nicht ableiten, dass die Menschen der Freiheit und womöglich auch der Demokratie überdrüssig seien, wie die vielfältigen Debatten über die „Autokratisierung“ der Demokratien nahelegen. Aber ebenso deutlich ist, dass große Unterschiede zwischen den Ländern bestehen. Die Freiheit wird nicht überall vollständig unterstützt und in allen ihren Facetten als extrem wichtig angesehen. Außerdem fällt das Ausmaß, zu dem die Wünsche der Bürger erfüllt werden, höchst unterschiedlich aus.
Für freiheitlich-demokratische Gesellschaften ist es zentral, dass ein Mindestmaß an Freiheit in den verschiedenen Dimensionen besteht. Ebenso wichtig ist, dass der Wunsch nach Freiheit ausgeprägt bleibt, um auch nachhaltig verteidigt werden zu können. Das scheint in manchen Ländern aktuell nicht immer der Fall zu sein. Zu den Ländern, in denen zumindest die Freiheit von staatlicher Willkür gefährdet erscheint, ohne dass es zu hinreichend großen Abwehrbewegungen aus der Mitte dieser Gesellschaften kommt, gehören Polen und Ungarn, auf deren Demokratisierungserfolge man noch vor ein paar Jahren mit Bewunderung blickte.
Wo die Dimensionen von Freiheit als extrem wichtig bewertet werden, ist auch die Bewertung von Arbeit, Wirtschaft, Gesundheit und Bildung hoch.
In allen Dimensionen zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Ländern, auch mit Blick auf Wünsche und Wirklichkeit. In der Dimension Rechtsstaatlichkeit liegen Südafrika, die Vereinigten Staaten und Taiwan hinsichtlich der Beurteilung der Wichtigkeit für die Freiheit an der Spitze, Mexiko, Indien und Südkorea am unteren Ende. Wenn man die Beurteilung der Realisierung im Vergleich zur Wichtigkeit betrachtet, so zeigt sich, dass Südafrika die größten Wünsche, aber auch die schlechteste Erfüllung dieser Wünsche hat, gefolgt von den Vereinigten Staaten. Deutschland steht ziemlich in der Mitte der betrachteten Nationen. Indien steht nach dieser Betrachtung am besten da, was aber auch am niedrigen Anspruchsniveau der Menschen dort liegt, also der relativ geringen Relevanz der Rechtsstaatlichkeit für das Freiheitsempfinden.
Was die Meinungsfreiheit angeht, räumen ihr mehr Bürgerinnen und Bürger in Spanien, den Vereinigten Staaten und Polen eine extreme Wichtigkeit ein. In Indonesien, Indien und Südkorea sind es die wenigsten. Obwohl die Beurteilungen des Ist-Zustands nicht die schlechtesten sind, ist die Realisierung gemessen an den hohen Ansprüchen in Spanien, den Vereinigten Staaten und Polen die geringste aller Länder. Deutschland liegt wiederum im mittleren Feld. In der Dimension Privatsphäre sind die Anteile derjenigen, die alle Aspekte für extrem wichtig ansehen, in Taiwan, Deutschland und Spanien am höchsten und wiederum am niedrigsten in Südkorea, Indien und Indonesien. Aufgrund der relativ guten Einschätzung des Ist-Zustands zählen Taiwan und Deutschland trotz hoher Anteile bei der Wichtigkeit aber in der Betrachtung des Unterschieds zwischen Soll und Ist nicht zu den schlechtesten Ländern. Spanien liegt auf Platz zwei nach Südafrika.
Die Urteile der befragten Bürger über das, was sie in den Dimensionen Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und Privatsphäre als extrem wichtige Elemente ansehen und wie sie deren Verwirklichung beurteilen, fallen sehr unterschiedlich aus. Weniger Unterschiede existieren in der Frage, welche der Dimensionen die wichtigste ist und wie sich die Wichtigkeiten der drei Dimensionen ordnen. In sieben der liberalen und semi-liberalen Demokratien steht für die Bürger die Privatsphäre in der Wichtigkeit an erster Stelle, wobei in fünf Ländern die Rechtsstaatlichkeit an zweiter Stelle und damit die Meinungs- und Informationsfreiheit an dritter Stelle stehen.
Die Menschen in ausgewählten Ländern wurden gefragt, für wie wichtig sie persönlich Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und Privatsphäre als Dimensionen einer freien Gesellschaft halten. Zudem wurden sie um ihre Einschätzung gebeten, in welchem Ausmaß sie diese in ihrem Land verwirklicht sehen. Um die Unterschiede deutlicher zu machen, ist hier nur der Anteil der Befragten dargestellt, der mit „extrem wichtig“ bzw. „trifft voll und ganz zu“ antwortete. So sagen etwa 39 Prozent der Südafrikaner, dass ihnen die Rechtsstaatlichkeit „extrem wichtig“ sei. Nur 6 Prozent geben allerdings an, dass diese „voll und ganz“ verwirklicht sei. Drei Erkenntnisse sind besonders interessant:
In allen Dimensionen finden mehr Menschen, dass sie ihnen „extrem wichtig“ sind, als dass sie diese „voll und ganz“ verwirklicht sehen. In Südafrika, den USA, Brasilien, Spanien, Polen, Mexiko und Südkorea bleibt die wahrgenommene Rechtsstaatlichkeit weit hinter der ihr zugeschriebenen Wichtigkeit zurück.
*ANGABEN IN PROZENT | QUELLE: SUBJEKTIVE FREIHEIT – PERSÖNLICHE ERWARTUNG UND WAHRNEHMUNG EINE STUDIE DER FRIEDRICH-NAUMANNSTIFTUNG FÜR DIE FREIHEIT IN ZUSAMMENARBEIT MIT DEM WISSENSCHAFTSZENTRUM BERLIN FÜR SOZIALFORSCHUNG
Die Menschen in ausgewählten Ländern wurden gefragt, für wie wichtig sie persönlich Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und Privatsphäre als Dimensionen einer freien Gesellschaft halten. Zudem wurden sie um ihre Einschätzung gebeten, in welchem Ausmaß sie diese in ihrem Land verwirklicht sehen. Um die Unterschiede deutlicher zu machen, ist hier nur der Anteil der Befragten dargestellt, der mit „extrem wichtig“ bzw. „trifft voll und ganz zu“ antwortete. So sagen etwa 39 Prozent der Südafrikaner, dass ihnen die Rechtsstaatlichkeit „extrem wichtig“ sei. Nur 6 Prozent geben allerdings an, dass diese „voll und ganz“ verwirklicht sei. Drei Erkenntnisse sind besonders interessant:
In allen Dimensionen finden mehr Menschen, dass sie ihnen „extrem wichtig“ sind, als dass sie diese „voll und ganz“ verwirklicht sehen. In Südafrika, den USA, Brasilien, Spanien, Polen, Mexiko und Südkorea bleibt die wahrgenommene Rechtsstaatlichkeit weit hinter der ihr zugeschriebenen Wichtigkeit zurück.
*ANGABEN IN PROZENT | QUELLE: SUBJEKTIVE FREIHEIT – PERSÖNLICHE ERWARTUNG UND WAHRNEHMUNG EINE STUDIE DER FRIEDRICH-NAUMANNSTIFTUNG FÜR DIE FREIHEIT IN ZUSAMMENARBEIT MIT DEM WISSENSCHAFTSZENTRUM BERLIN FÜR SOZIALFORSCHUNG
Bildung führt zum Wunsch nach Freiheit
Vor dem Hintergrund, dass Freiheit nicht voraussetzungslos ist, kann zum einen festgehalten werden, dass Wohlstand und Freiheit in einem gewissen Zusammenhang stehen: Freiheit produziert Wohlstand. Umgekehrt wird Freiheit von Not und Begrenzungen erst durch entsprechenden Wohlstand möglich. Aber es ist wohl ebenso festzuhalten, dass es ohne das Bedürfnis nach Freiheit auch keinen Einsatz für sie gibt. Wichtiger noch: Wo sie erreicht ist, muss sie gesichert werden. Die Debatten über Autokratisierungstendenzen auch in Demokratien machen deutlich, dass die Freiheit der Verteidigung bedarf. Die beste Gewähr für den Wunsch nach und den Einsatz für Freiheit kann der Staat liefern, indem er für die Bildung der Bürgerinnen und Bürger sorgt. Das trägt nicht nur zum Wohlstand bei, sondern auch zur Freiheitsliebe. Egal, ob liberale oder semi-liberale Systeme, Bildung macht einen Unterschied. Sie stärkt die Freiheitsaspiration und dürfte damit auch dazu beitragen, dass die Menschen etwas für die Freiheit tun.
Insgesamt verweisen die Resultate der Befragung darauf, dass es einen großen Anteil an Bürgerinnen und Bürgern gibt, der alle zentralen Aspekte der Freiheitssicherung in den drei betrachteten Dimensionen für unabdingbar erachtet. Es sind also nicht nur minimalistische Freiheitsvorstellungen, die eine größere Unterstützung erfahren, sondern sehr anspruchsvolle Freiheitsvoraussetzungen. Das ist ein gutes Zeichen.
Bernhard Weßels ist kommissarischer Direktor der Abteilung Demokratie und Demokratisierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
Bernhard Weßels ist kommissarischer Direktor der Abteilung Demokratie und Demokratisierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
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