BUCHREZENSION
Wenn die Wissenschaft Daten erhebt, sind diese meist männlich dominiert. Ein Zustand, der Frauen diskriminiert und Chancengleichheit verhindert. Caroline Criado-Perez fordert einen Systemwandel.
TEXT: EVA CHEUNG
BUCHREZENSION
Wenn die Wissenschaft Daten erhebt, sind diese meist männlich dominiert. Ein Zustand, der Frauen diskriminiert und Chancengleichheit verhindert. Caroline Criado-Perez fordert einen Systemwandel.
TEXT: EVA CHEUNG
Frauen werden nach wie vor ungerecht behandelt. In aller Welt werden sie allein aufgrund ihres Geschlechts in vielen Bereichen des Alltagslebens stigmatisiert und benachteiligt. Dazu trägt wesentlich der Gender Data Gap bei, eine systematische Verzerrung wissenschaftlicher Studien, in denen Daten über die spezifischen Bedürfnisse von Frauen fehlen. Frauen werden dadurch – mitunter auch ganz unabsichtlich – systematisch diskriminiert und gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt, wie Caroline Criado-Perez in ihrem Buch „Unsichtbare Frauen“ schonungslos offenlegt. Die Autorin, 1984 in Brasilien geboren, ist eine britische Rundfunkjournalistin und international eine der bedeutendsten feministischen Aktivistinnen.
Criado-Perez zeigt, dass der Mangel an Daten über Frauen ganz banale Auswirkungen im Alltag haben kann: beispielsweise indem das obere Supermarktregal für viele Frauen zu hoch ist oder die Klaviertastatur eigentlich zu breit ist für die meist kleineren Hände von Pianistinnen. Die Folgen können aber auch schwerwiegender oder sogar tödlich sein: Frauenkörpern kommt nicht die gleiche medizinische Aufmerksamkeit zu wie Männerkörpern, besonders bei Diagnosen oder der Dosierung von Medikamenten. Auch technische Sicherheitsstandards in Autos, Spracherkennungssoftware oder berufliche Schutzkleidung sind nach männlichen Standards ausgerichtet. Die spezifischen Bedürfnisse von Frauen werden in der Forschung vernachlässigt oder ignoriert. Frauen sind damit „unsichtbar“.
Das könnte sich ändern, wenn die Gesellschaft einen Perspektivwechsel zuließe. Dafür gibt es durchaus positive Beispiele. So erzählt Criado-Perez von einer erfolgreichen Gleichberechtigungsinitiative aus dem Jahr 2011 im schwedischen Karlskoga. Statt wie bisher zuerst die Straßen für die meist männlichen berufstätigen Autofahrer zu räumen, befreiten die städtischen Betriebe dort nun vorrangig diejenigen Gehwege vom Schnee, die vorwiegend von Frauen mit Kinderwagen, Schulkindern sowie älteren Menschen genutzt wurden. Die Unfallzahlen gingen drastisch zurück. Schneeräumen muss also nicht sexistisch sein.
Es gibt positive Beispiele, wie Gesellschaften einen Wechsel der Perspektive zulassen können.
Caroline Criado-Perez: „Unsichtbare Frauen“, btb Verlag (2020), 496 Seiten, 16,- Euro
Kleine Änderungen können Großes bewirken, wie auch spezielle Parkplätze für schwangere Angestellte oder sichere Arbeitsumgebungen für weibliches Pflegepersonal, um nächtliche Übergriffe zu vermeiden. „Viel zu lange haben wir Frauen als Abweichung vom menschlichen Standard dargestellt und damit zugelassen, dass sie unsicht-bar wurden“, schreibt Criado-Perez. „Es ist Zeit, dass Frauen gesehen werden.“ Wenn Frauen aus dem Schatten träten und ihre Stimme hören ließen, würden die Dinge beginnen, sich zu ändern.
Erst einmal wäre demütige Selbstkritik der Medienmacher und -macherinnen gefragt. Klar ist, dass ständiger Alarmismus nervt. Der gelegentlich entfesselte Überbietungswettbewerb mancher Medien in Sachen Dramatik entwertet Journalismus, verunsichert und hinterlässt ein überreiztes Publikum, das sich irgendwann erschöpft abwendet. Am Beispiel der Corona-Berichterstattung lässt sich das geradezu idealtypisch zeigen. Es gab kaum eine Außenseiterposition, die nicht als schrilles Angebot auf den Markt der Meinungen gebracht wurde. Das diente nicht der Aufklärung, sondern der Quote oder der Auflage – der Kollateralschaden war Verunsicherung. Auch der mediale Umgang mit Putins Angriffskrieg ermüdet, wenn statt Hintergründen und Fakten serielle Talkshows mit immergleichen Gästen und immergleichen Debatten kaum Erkenntnisgewinn produzieren. Stattdessen stellt sich Überdruss ein, wenn sich der x-te zu Recht unbekannte Stratege zum weiteren Verlauf des Krieges äußert.
„Unsichtbare Frauen“ ist ein starkes Plädoyer für mehr Gleichberechtigung und Freiheit von Frauen. Mit ihrem aufrüttelnden, lesenswerten Buch schärft Criado-Perez den Blick für die bestehende Benachteiligung von Frauen und verdeutlicht, wie ein neues Denken einfache, aber effektive Lösungen im Alltag schaffen kann.
Eva Cheung...
Eva Cheung...
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