Krieg in der Ukraine
Die Zwischenbilanz des russischen Vernichtungsfeldzuges gegen die Ukraine ist bedrückend. Während Russland unvermindert wütet, findet der Westen keine strategische Antwort auf den massiven sicherheitspolitischen Umbruch. Das muss sich ändern.
Text: Stefanie Babst
Krieg in der Ukraine
Die Zwischenbilanz des russischen Vernichtungsfeldzuges gegen die Ukraine ist bedrückend. Während Russland unvermindert wütet, findet der Westen keine strategische Antwort auf den massiven sicherheitspolitischen Umbruch. Das muss sich ändern.
Text: Stefanie Babst
Das Terrorregime in Moskau nutzt die Schwäche des Westens gnadenlos aus: Während Kremltrolle nahezu ungehindert die westlichen öffentlichen Diskurse mit gezielten Desinformationen fluten, profitiert Moskau von den monatelangen, sich im Kreis drehenden Diskussionen über die Lieferungen spezieller Waffensysteme, um seine Verteidigungsstellungen an der Front zu verstärken, militärischen Nachschub zu organisieren und weitere Eskalationsmöglichkeiten zu testen – ob im Dauerkonflikt zwischen Serbien und Kosovo, durch hybride Angriffe auf Infrastruktur im Ostseeraum, nukleare Drohungen oder den Versuch, die zivile Schifffahrt im Schwarzen Meer auszubremsen. Die vom Westen verhängten Sanktionen lassen Russland genügend Schlupflöcher, um wirtschaftliche, finanzielle und technologische Engpässe zu kompensieren. Doch während das Putin-Regime keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit lässt, weigern sich viele Verbündete immer noch, Russland rote Linien aufzuzeigen.
Der Westen zieht sich zurück
Ein Blick auf das geostrategische Schachbrett zeigt, dass sich die tektonischen Platten auch anderswo verschieben. Der Terrorangriff der Hamas auf Israel, das kaltblütige Vorgehen Aserbaidschans gegen die Armenier in Bergkarabach, das unverhohlene militärische Muskelspielen Chinas gegenüber seinen Nachbarn im Südpazifik und die Machtübernahmen durch Militärjunten in Mali und Niger sind nur einige Beispiele: Gewaltbereite Regime sind auf dem Vormarsch.
Diese Entwicklung fällt nicht zufällig zusammen mit einer inneren Instabilität Amerikas, die sich negativ auf den strategischen Gestaltungswillen der militärisch stärksten demokratischen Führungsnation auswirkt, wie sich bereits in Syrien und Afghanistan deutlich beobachten ließ. Aus Zentralasien, dem Kaukasus, Teilen Afrikas und des Nahen Ostens haben sich die Vereinigten Staaten bereits militärisch und politisch zurückgezogen. Auf die politische Dynamik in diesen Regionen üben sie keinen nennenswerten Einfluss mehr aus. Einzig in der Pazifikregion haben die Amerikaner ihr militärisches und diplomatisches Engagement als Reaktion auf das strategische Konkurrenzverhältnis zu China verstärkt.
Nur eine westliche Truppenpräsenz mit nuklearer Abschreckung kann die Sicherheit der Ukraine gewährleisten.
Mit der behäbigen Hoffnung, dass sich der Sturm bald wieder legen könnte, werden die Europäer all diesen strategischen Herausforderungen nicht begegnen können. Auch nicht mit der in Deutschland so beliebten „Maß und Mitte“-Haltung. Angesagt ist eine an der geopolitischen Realität ausgerichtete Außen- und Sicherheitspolitik: Deutschland und seine transatlantischen Partner haben Gegner, die unsere demokratischen Gesellschaften zielgerichtet destabilisieren wollen und unverhohlen mit militärischer Gewalt drohen.
Aus europäischer Sicht muss Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine die höchste strategische Priorität eingeräumt werden. Eine Niederlage der Ukraine wäre eine dramatische Niederlage für Gesamteuropa. Das Ergebnis wäre nicht nur ein zerstörter, militärisch besetzter ukrainischer Rumpfstaat, der jahrzehntelang wirtschaftlich subventioniert werden müsste und noch größere Flüchtlingsströme in Europa freisetzen würde. Vielmehr müssten auch Staaten wie Moldawien, Weißrussland sowie die Kaukasusrepublik Georgien und der westliche Balkan weiter unter dem toxischen Einfluss Russlands bleiben. Und damit nicht genug. Moskaus Aggressivität könnte sich künftig auch in der Arktis und im Nordatlantikraum entfalten. Nicht zuletzt würde ein Sieg Russlands über die Ukraine jedes autoritäre Regime auf der Welt ermutigen, sich mit militärischer Gewalt zu nehmen, was es auch immer begehrt.
Politischer Wille fehlt
Den Putinismus effektiv zurückzudrängen und seinen Aktionsradius nachhaltig zu schwächen sollte das dringlichste Ziel der Europäer sein. Diese Aufgabe müssten sie auch mit eingeschränkter amerikanischer Unterstützung umsetzen können. Der dafür notwendige Ziel- und Handlungskatalog sollte in eine langfristige und robuste Containment-Strategie eingebettet werden. Dieses Containment, am besten mit „Eindämmung“ übersetzt, hat viele Facetten – von der konsequenten Stärkung europäischer konventioneller und nuklearer Verteidigungsfähigkeiten bis zur Neuausrichtung außenwirtschaftlicher und technologischer Beziehungen zu den Staaten, die Russland und China unterstützen. An erster Stelle muss jedoch die militärische Unterstützung der Ukraine stehen, um Russland zumindest die Halbinsel Krim zu entreißen und damit die militärische Dominanz über das Schwarze Meer.
Wichtig ist auch die Bereitschaft, die Ukraine möglichst rasch zu Beitrittsverhandlungen mit der NATO einzuladen. Das Hinausschieben auf einen Tag X ist ein fatales Signal, das den Kreml ermutigt, sich auf einen langen Krieg einzurichten. Je länger der russische Vernichtungsfeldzug gegen die Ukraine andauert, umso größer dürfte Moskaus Zuversicht werden, dass dem Westen der politische Wille fehlt, um sich dem Expansionismus entgegenzustemmen.
Letztlich kann die umfassende Sicherheit der Ukraine nur durch eine westliche Truppenpräsenz gewährleistet werden, die von einer nuklearen Abschreckungskomponente gestützt wird. Letztere sollte durch mindestens einen der Nuklearstaaten USA, Frankreich und Großbritannien abgebildet werden, im besten Fall sogar durch alle drei gleichzeitig. Die Beteiligung amerikanischer, französischer oder britischer Truppen an einer künftigen Stabilisierungspräsenz in der Ukraine wäre für eine effektive Abschreckung gegenüber Russland zwingend. Wie dieses Ziel schrittweise erreicht werden kann, bleibt gegenwärtig offen. In Deutschland wird noch nicht einmal darüber diskutiert. Das muss sich dringend ändern.
Stefanie Babst arbeitete 22 Jahre in verschiedenen Führungspositionen in der NATO. Im April 2023 erschien ihr Buch „Sehenden Auges: Mut zum strategischen Kurswechsel“ im dtv-Verlag.
Stefanie Babst arbeitete 22 Jahre in verschiedenen Führungspositionen in der NATO. Im April 2023 erschien ihr Buch „Sehenden Auges: Mut zum strategischen Kurswechsel“ im dtv-Verlag.
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