Demokratie und Freiheit

Stumme Mitte, laute Ränder 

Der ostthüringische Saale-
Orla-Kreis steht exemplarisch
für die Herausforderungen strukturschwacher Regionen:
Trotz Fortschritten dominiert
die AfD die politische Landschaft, während bürgerliche Parteien
an Präsenz verlieren. Der liberale
Jenaer Oberbürgermeister
Thomas Nitzsche plädiert für
mehr Engagement, um diesem
Drift entgegenzuwirken.

Text: Hannes Leiterit
Illustrationen: Marta Kochanek

Demokratie und Freiheit

Stumme Mitte,
laute Ränder

Der ostthüringische Saale-Orla-Kreis steht exemplarisch für die Herausforderungen strukturschwacher Regionen:
Trotz Fortschritten dominiert die AfD die politische Landschaft, während bürgerliche Parteien an Präsenz verlieren. Der liberale Jenaer Oberbürgermeister Thomas Nitzsche plädiert für mehr Engagement, um diesem Drift entgegenzuwirken.

Text: Hannes Leiteritz | Illustrationen: Marta Kochanek


Hier blühen die Landschaften: an grünen Wäldern, sanften Berghängen und gewundenen Flüssen. Längst vergessen sind viele Ruinen und verfallene Infrastruktur. Fortschritt macht sich im ostthüringischen Saale-Orla-Kreis breit, zumindest auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick gehört der Kreis immer noch zu den strukturschwächsten Regionen Deutschlands. Vor allem aber blüht hier der politische Populismus. Bei den Wahlen der letzten Jahre hat die AfD hier alle anderen Parteien überflügelt. Sie hält alle parlamentarischen Direktmandate und führt bei den Zweitstimmen. Zum Landrat wurde Anfang des Jahres mit 52,4 Prozent gerade so ein CDUler gewählt. Ein Erfolg, der nur durch ein Bündnis aller demokratischen Kräfte gegen die AfD gelang. Damit steht die Region stellvertretend für ein zunehmend verbreitetes Phänomen in den nicht mehr so neuen Bundesländern. 

Zu diesem Phänomen gehört auch: Die einzige nennenswerte Initiative gegen den AfD-Kandidaten war ein linkes Bürgerbündnis. Mutige Privatpersonen brachten Vertreter aus Wirtschaft und Gesellschaft zusammen, schrieben einen offenen Brief und veranstalteten eine zugehörige Demons-tration. Doch diese Initiative verpuffte ohne nachhaltige Resonanz. Linke Argumente, punkige Musik und Slogans wie „Nazis wegbassen!“ verfangen in der bürgerlichen Gesellschaft dieser Region nicht.

Weit und breit waren weder Konservative noch Liberale sichtbar. Klar, sie sind nicht für Aktivismus bekannt. Und ja, aktivistische Linke sehen deren Positionen oft eher als Ziel ihres Protests. Das ändert aber nicht das Grundproblem: Die Parteien der Mitte haben massiv an Durchdringungskraft und Präsenz verloren. Sie waren in Gera oder Schleiz sicher nie so etabliert wie in Fulda oder Coburg. Trotzdem waren sie sichtbar, nahe bei den Menschen und prägten Diskurse. Das hat sich überall geändert. In Regionen wie Ostthüringen ist es aber besonders schmerzlich, weil der Abstand zu politischen Entscheidungen dadurch noch größer wird, als er ohnehin schon ist. Fragt man politisch aktive Menschen in Thüringen, ob ihnen ein zivilgesellschaftliches Projekt mit wahrnehmbarer bürgerlicher Beteiligung bekannt ist, lautet die Antwort: Nein. Die Bühne gehört abseits von Wahlplakaten den ganz Rechten, den ziemlich Linken und ihren Themen. Die Mitte ist stumm.

Die Rechten sind immer präsent

Wirklich bespielt wird diese Bühne aus Stammtischen, Jugendclubs und WhatsApp-Ortsgruppen oft nur von der AfD. Sie und ihre Verbündeten haben einen entscheidenden Vorteil: Sie haben demokratische Redlichkeit nicht nötig. Gegenüber dem Gedankengut ihrer Ableger in Thüringen und Sachsen wirkt die Talkshow-AfD progressiv. In vielem gehen AfD, Nazis und Reichsbürger willentlich ineinander über. Diese Leute feiern in Chatgruppen Kaiser Wilhelms
Geburtstag, betrachten die Verfassung von 1871 als die einzig rechtmäßige und wollen alles stürzen, wofür auch Liberale lange gekämpft haben. 

Dass die Gesellschaft so etwas nicht paralysiert hinnehmen muss, hat man in Thüringen schon bewiesen. Darauf macht Thomas Nitzsche aufmerksam, er ist Oberbürgermeister von Jena und erfahrener liberaler Kommunalpolitiker. Jena ist als bundesweit relevanter Wissenschafts- und Technologiestandort das Zentrum Ostthüringens. Entsprechend ist die Stadt etwas anders als ihr Umland, aber trotzdem tief mit der Region verflochten. Nitzsche berichtet, dass sich schon einmal breite gesellschaftliche Netzwerke bildeten, nachdem es in den 1990er-Jahren in und um Jena zu einem starken Anstieg rechtsextremer Gewalt kam: „Das waren vor allem Kirchen und linke Kräfte. Die haben Proteste und Veranstaltungen organisiert, die auch für Nicht-Linke anschlussfähig waren. Mit deren Hilfe haben wir es in Jena geschafft, die Rechten aus der Stadt rauszuhalten.“ 

Nitzsche ist der Auffassung, dass bürgerliche Parteien ein Mitwirkungsinteresse bei solchen Engagements haben sollten. Nur sie können Menschen mitnehmen, die nicht links, aber gegen ganz rechts sind. „Wir müssen aus dem kleinen Karo raus, und zwar auf beiden Seiten“, fasst er zusammen. Bedeutet: Die politischen Strömungen sollen nicht zu einer gemeinsamen Front verschmelzen, doch sollten Bürgerliche offenherzig erwägen, sich auch abseits von Wahlkämpfen an Projekten zu beteiligen und Flagge zu zeigen. Denn in Deutschland kann man nur Erfolg haben, wenn man die Mitte der Gesellschaft mitnimmt.

Daraus müssen vor allem die Liberalen Mut schöpfen. Nitzsche hat selbst an den Bemühungen gegen Rechtsextreme mitgewirkt. Anfängliche Vorurteile mancher Initiatoren konnte er damals ausräumen: „Das kann gehen, ich habe mich durchgesetzt.“ Trotz Startschwierigkeiten hat Thomas Nitzsche positive Erfahrungen bei der Zusammenarbeit gemacht: „Trotzdem reinsetzen, dranbleiben. Wichtig ist, dass die Mitarbeit in einem zivilgesellschaftlichen Projekt eine ernst gemeinte politische Initiative ist. Das alibimäßig zu machen, bringt nichts.“ Nitzsche ist bei allem Plädoyer für mehr Mut zur Mitwirkung auch klar, dass sie keine Aktivisten sind: „Wir organisieren keine Demo, das können wir nicht. Das ist nicht unsere Art, Politik zu machen.“ 

Es braucht also keinen Aktivismus, keinen Überschwang und keine Empörung. Es braucht ein bisschen liberalen Mut, vor Ort Gesicht zu zeigen. Wer weiß, vielleicht blüht irgendwann wieder mehr gelber Löwenzahn statt blauer Disteln.

Hannes Leiteritz ist Stipendiat der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und studiert Philosophie in Berlin. Der gebürtige Thüringer beobachtet die politischen Entwicklungen in seiner Heimat genau.


Hannes Leiteritz ist Stipendiat der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und studiert Philosophie in Berlin. Der gebürtige Thüringer beobachtet die politischen Entwicklungen in seiner Heimat genau.

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