AUSSTELLUNG
Eine Wanderausstellung erinnert an das Vermächtnis der Freiburger Schule um Walter Eucken – und macht die Aktualität des ordoliberalen Denkens erfahrbar.
TEXT: KAREN HORN
AUSSTELLUNG
Eine Wanderausstellung erinnert an das Vermächtnis der Freiburger Schule um Walter Eucken – und macht die Aktualität des ordoliberalen Denkens erfahrbar.
TEXT: KAREN HORN
Die Ordnung, in der wir leben“: So betitelte die Schriftstellerin Edith Eucken-Erdsiek vor 60 Jahren einen temperamentvollen Essay. Sie wollte „zum Verständnis unserer Wirtschaftsordnung“ beitragen. Sie bezog sich auf die Soziale Marktwirtschaft – oder auch auf das, was ihr 1950 verstorbener Ehemann, der in Freiburg lehrende Ökonom Walter Eucken, als „Wettbewerbsordnung“ konzipiert hatte: eine Verfassung der Wirtschaft, die dadurch, dass sie Machtzusammenballungen verhindert, nicht nur für ökonomische Effizienz sorgt, sondern allgemein die Freiheit sichert und als sittliches Prinzip in die Gesellschaft hineinwirkt. Es ging ihm darum, allen Menschen ein „Leben nach ethischen Prinzipien zu ermöglichen“. Wie wenig selbstverständlich dies war, hatte sich in der Zwischenkriegszeit angedeutet, und alsbald wuchsen scheinbar unaufhaltsam zwei Totalitarismen heran, der Sowjetsozialismus und der Nationalsozialismus. Auf dieser Folie entwickelte sich das Eucken’sche Nachdenken über eine andere, bessere, stabile, liberale Ordnung, die Menschen nicht zwingt, mit dem Bösen zu paktieren.
Die im russischen Smolensk geborene Edith Eucken-Erdsiek hatte jüdische Vorfahren, und ihr Mann notierte schon 1935, als das Regime begann, die Nürnberger Rassengesetze anzuwenden, so erschüttert wie hellsichtig in seinem Tagebuch: „Diese Sünde, die das deutsche Volk begeht, indem es wehrlose Menschen seelisch und körperlich mißhandelt, wird sich an ihm furchtbar rächen.“ Später engagierte sich Eucken in verschiedenen Widerstandskreisen, um eine bessere Nachkriegsordnung zu entwerfen.
Der gebürtige Jenenser Eucken war seit den frühen Dreißigerjahren führender Kopf einer Gruppe von Denkern, für die sich später der Name „Freiburger Schule“ oder „die Ordoliberalen“ einbürgerte. Dazu zählten vor allem die Rechtswissenschaftler Franz Böhm und Hans Großmann-
Doerth sowie die Ökonomen Constan-
tin von Dietze und Adolf Lampe; später kamen auch noch einige Schüler Euckens hinzu. Ihre gedanklichen Vorarbeiten erwiesen sich nach dem Krieg als prägend für die praktische Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik; sie haben vor allem Ludwig Erhard maßgeblich beeinflusst.
Der Wettbewerb ist das genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte.
Der Wettbewerb ist das genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte.
Für die Freiburger war die Erkenntnis entscheidend, dass politische, ökonomische und gesellschaftliche Ordnungen einander bedingen. „Alles hängt mit allem zusammen“, so brachte es Edith Eucken-Erdsiek in ihrem Essay auf den Punkt. Konkret ansetzen muss die Gestaltung der Gesamtverfassung freilich an der Wirtschaftsordnung. Denn es gilt zu verhindern, dass der Einfluss der Wirtschaft auf die Politik zu einem Filz der Macht führt wie einst in der Weimarer Republik – mit dem Ergebnis einer Schwächung des Staats. Das Rezept der Freiburger lautete: Die Politik darf nicht ständig in den Wirtschaftsprozess selbst eingreifen. Sie sollte sich möglichst auf Ordnungspolitik beschränken, also darauf, allgemeine Regeln für die Wirtschaft zu erlassen. Es bedarf aber aktiver Wettbewerbspolitik, um Unternehmen davon abzuhalten, ihre Energien darauf zu verschwenden, dem Staat Privilegien abzuringen, einander zu behindern und die Kunden zu übervorteilen. Auf dem Markt soll Leistungswettbewerb herrschen. Der Wettbewerb, so formulierte Böhm, ist das „genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte“.
Doch die Wettbewerbsordnung ist mehr als nur aktive Kartellpolitik. In Euckens Buch „Grundsätze der Wirtschaftspolitik“, das Edith Eucken-Erdsiek 1952 nach seinem Tod herausbrachte, finden sich die Strukturprinzipien dieser Ordnung: Es gilt vor allem dafür Sorge zu tragen, dass der Preismechanismus seine Koordinierungsfunktion auf dem Markt erfüllt. Nur wenn Preise Knappheiten exakt anzeigen, können die Menschen effiziente wirtschaftliche Entscheidungen treffen – sei es über Arbeitseinsatz, Investitionen oder Konsum. Das bringt Wohlstand, sichert aber vor allem auch die Freiheit. „An dieser freien Ordnung mitzuwirken, jeder an seiner Stelle, ist die Aufgabe“, mahnte Edith Eucken-Erdsiek.
Die Voraussetzungen hat Walter Eucken in einer Reihe von Prinzipien ausbuchstabiert: Der Staat soll nicht in die Preisbildung eingreifen; es braucht einen stabilen Geldwert und Wechselkurs; die Abschottung von Märkten nach außen (Protektionismus) wie nach innen (Zunftzwang) verbietet sich; Privateigentum braucht Schutz, ist aber sozialpflichtig; es bedarf der Vertragsfreiheit, der Haftung und einer langfristigen, berechenbaren Politik. All dies zu sichern, ist eine staatliche Aufgabe. Hinzu kommen regulierende Zuständigkeiten des Staates wie auf dem Feld der Wettbewerbspolitik. Es gilt dafür zu sorgen, dass Private die gesellschaftlichen Nebenwirkungen ihres wirtschaftlichen Handelns spüren und berücksichtigen, zum Beispiel mittels einer Steuer. Und es bedarf einer Einkommenspolitik, die Menschen zur Teilnahme am Markt befähigt, und unter Umständen sogar eines Mindestlohns.
Wie hilfreich die praktischen Leitlinien der Freiburger Schule nach wie vor sind, erschließt sich rasch, sobald man sie auf politische Fragen von heute anwendet. Sie lassen beispielsweise im Handumdrehen nachvollziehen, warum ein Mietendeckel keine gute Idee ist, eine CO2-Steuer aber schon; dass eine nationalistische Wirschaftspolitik zwar Partikularinteressen bedienen mag, insgesamt aber in die Irre führt; wie gefährlich die Macht der Internetkonzerne werden kann; und warum es zur Verhinderung von Finanzkrisen dringend einer stärkeren Eigenkapitalunterlegung im Bankgewerbe bedarf.
Eine edukative Ausstellung des Aktionskreises Freiburger Schule, der die Forschungsarbeit des Walter Eucken Instituts unterstützt, macht nun Geschichte und Aktualität des ordoliberalen Denkens für Jung und Alt erfahrbar, in einer gelungenen Mischung aus Videos, Lesestoff, Fotografien, Quizspielen etc. Edith Eucken-Erdsieks Essaytitel aufgreifend, stellt sie die Frage: In welcher Ordnung wollen wir leben? Und wenn wir uns weiter von Menschenwürde und Freiheit leiten lassen wollen, was folgt daraus konkret in Zeiten von Globalisierung, Klimakrise, Migration und Digitalisierung? Nach ihrem Auftakt in Freiburg geht die sehenswerte Ausstellung nun auf eine lange Wanderschaft durchs In- und Ausland.
Karen Horn lehrt Ökonomische Ideengeschichte und Wirtschaftsjournalismus an der Universität Erfurt. Zudem ist sie Chefredakteurin der Fachzeitschift „Perspektiven der Wirtschaftspolitik“ (PWP).