DEBATTE ZUR IMPFPFLICHT

Gegen das autoritäre Denken

Kolumne SLS

TEXT: SABINE LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER

DEBATTE ZUR IMPFPFLICHT

Gegen das autoritäre Denken - Kolumne SLS

TEXT: SABINE LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER

Ginge es nach dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, ist die Welt einfach: Was er verkündet, gilt. Selbst wenn er heute das Gegenteil von gestern sagt. Warum mich das aufregt? Weil der autoritäre Sound in der Politik Probleme schafft. Beispiel Impfpflicht: Es gibt Gründe dafür und dagegen, in der Demokratie ist keine Position der Weisheit letzter Schluss. Zu ihrem Wesen gehören Mehrheitsentscheidungen genauso wie Mindermeinungen. Und die Impfplicht-Debatte hat mehrere Ebenen – neben der virologischen auch verfassungsrecht-liche, moralische und ethische. Es gibt offene Fragen zu Gefährlichkeit neuer Varianten des Virus und ob es überhaupt ausreichend Impfstoff gibt. Deswegen braucht es die Bewertung des neuen Expertengremiums, und natürlich müssen die Abgeordneten frei nach ihrem Gewissen entscheiden können. Laut Markus Söder ist die Sache einfach. Auch die Gurtpflicht sei einst mit Bußgeldern durchgesetzt worden. Was für ein Vergleich. Augen zu und durch kann nicht die Devise bei der sensiblen Thematik Impfpflicht sein.

Es muss daran erinnert werden: Die abgewählte große Koalition hat es nicht geschafft, die Pandemiepolitik für alle nachvollziehbar und verständlich zu gestalten und zu kommunizieren. Geboostert: zu spät und zu zögerlich. Die Impfkampagne: voll bürokratischer Hürden und immer wieder ins Stocken geraten. Flächendeckend 2G: erst nach langen Diskussionen eingeführt. Die Ansprache von impf-skeptischen Menschen: entweder erfolgte sie pastoral, mit abschreckenden Bildern oder gar nicht. Und jetzt soll es die „Ansage“ richten.

Auf der anderen Seite beobachten wir eine Radikalisierung in Teilen der Bevölkerung, die es in sich hat. Querdenker, Impfgegner, Corona-Leugner, Esoteriker und Schwurbler gehen zunehmend radikaler vor. Rechtsextremisten und Feinde der Demokratie versuchen, diesen Protest für sich zu nutzen. Treiber sind auch die sozialen Medien, in denen der Rechtsstaat schwächer erscheint und für die Nutzer wenig gilt.

Andersdenkende, Politiker, Journalisten und Polizisten werden bedroht, beleidigt und beschimpft. Besonders widerwärtig war der Fackelaufmarsch vor der Wohnung der sächsischen Ministerin Petra Köpping. Verfassungsschützer warnen seit geraumer Zeit vor dieser Radikalisierung. Bringt sie unsere Demokratie ins Wanken? Noch bin ich optimistisch, dass diese Kluft in der Gesellschaft nicht zerstörerisch wirkt. Deshalb müssen wichtige demokratische Grundregeln eingehalten werden. Auch in Ausnahmesituationen wie der Pandemie, in der es um den Schutz des Lebens geht, müssen wir den demokratischen Diskurs hochhalten. Die Physikerin Viola
Priesmann, die zur Modellierung komplexer Systeme forscht, sagte kürzlich dem „Spiegel“, sie gebe Freundschaften nicht auf, selbst wenn Freunde Überzeugungen hätten, die ins Querdenkertum reichten. Eine Wissenschaftlerin, die an vorderster Front gegen die Pandemie wirkt, sagt das! Ja, das ist alles andere als einfach. Aber es bleibt neben angemessenen beschränkenden Maßnahmen nur der andauernde Versuch, mit der Kraft des Argumentes zu überzeugen.

Meinungen ersetzen keine Fakten. Die Pandemie hält die Welt in Atem. Medizin und Wissenschaft stoßen immer wieder an ihre Grenzen. Und gerade deshalb müssen wir immer wieder argumentieren. Dass die Impfung der einzige Weg aus der Pandemie-Falle ist. Dass wir nicht in einer Corona-Diktatur leben, sondern dank Meinungs- und Versammlungsfreiheit um den richtigen Weg aus der Pandemie ringen. Deutschland ist nicht China. Dort gibt es keinen Widerspruch, abweichende Meinungen werden zensiert und die Bürger bei Verdacht auf eine Infektion wochenlang in gesonderten Anlagen eingesperrt. Für uns ist die freie Meinungsäußerung konstitutiv für unsere Demokratie, unabhängig davon, wie absurd eine Meinung ist. Mit dieser Überzeugung treten wir autoritären Bestrebungen einer Minderheit entgegen.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist stellvertretende Vorsitzende des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Ein Angebot der

Gesellschaft

Wir verarbeiten Ihre Daten und nutzen Cookies.

Wir nutzen technisch notwendige Cookies, um Ihnen die wesentlichen Funktionen unserer Website anbieten zu können. Ihre Daten verarbeiten wir dann nur auf unseren eigenen Systemen. Mehr Information finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen in Ziffer 3. Sie können unsere Website damit nur im technisch notwendigen Umfang nutzen.

Um unsere Webseite für Sie optimal zu gestalten und unser Angebot für Sie fortlaufend verbessern zu können, nutzen wir funktionale und Marketingcookies. Mehr Information zu den Anbietern und die Funktionsweise finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen in Ziffer 3. Klicken Sie ‚Akzeptieren‘, um einzuwilligen. Diese Einwilligung können Sie jederzeit widerrufen.