UPDATE
Der EU fehlt eine gemeinsame Öffentlichkeit. Doch ohne sie wird kein wahres Gemeinschaftsgefühl entstehen. Medien mit gesamteuropäischem Auftrag könnten helfen.
TEXT: MICHAEL HIRZ
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Der EU fehlt eine gemeinsame Öffentlichkeit. Doch ohne sie wird kein wahres Gemeinschaftsgefühl entstehen. Medien mit gesamteuropäischem Auftrag könnten helfen.
TEXT: MICHAEL HIRZ
Natürlich brauchte es nicht zwingend Udo Lindenberg für die banale Erkenntnis, dass es hinterm Horizont weitergeht. Doch mit seinem Song hat er einen nützlichen Widerhaken gesetzt, und es ist es in der Tat gelegentlich ganz gut, daran zu erinnern. Zum Beispiel dann, wenn beim Blick auf die herausfordernden Themen wie Klima, Energiewende, Datenschutz, Migration gerade nur die nationale Brille zur Hand ist, bei der Deutschland zu einer Insel wird. Dabei ist klar, dass die großen Fragen in einer sich machtpolitisch neu aufstellenden Welt nur dann eine Chance haben, gelöst zu werden, wenn Europa sie gemeinsam anpackt.
Die Europäische Union hat viele Voraussetzungen für ein funktionierendes supranationales Gebilde: einen gemeinsamen Markt, eine Hauptstadt, eine Zentralbank, ein Parlament und mit der Kommission eine Art Exekutive. Doch etwas Wesentliches fehlt: eine gemeinsame Öffentlichkeit und gemeinsame Medien als ihre Plattform. Es mangelt an einem virtuellen Ort, an dem sich im demokratischen Streit auch ein Gemeinschaftsgefühl entwickeln kann, eine Identität, die Zentrifugalkräfte bindet. Einer solchen gemeinsamen Öffentlichkeit bedarf es dringend, um transparent Probleme der Gegenwart und Wege in die Zukunft zu erörtern. Letztlich halten nicht bloß wirtschaftliches Interesse, Champions League und Urlaub am Mittelmeer allein den Laden zusammen. Auch das sollte eine Lehre aus dem Brexit sein.
Der eklatante Mangel einer gemeinsamen europäischen Öffentlichkeit hat dazu beigetragen, dass die Bürger weitgehend in ihren nationalen Echokammern gefangen geblieben sind und Europa bestenfalls als Elitenprojekt wahrnehmen – ein gefundenes Fressen für Populisten von links wie rechts. Nationale Medien, die nur für das heimische Publikum arbeiten, gehen mit zentralen Fragen anders um als Medien mit gesamteuropäischem Auftrag. Letztere prägen ein anderes Bewusstsein, mit weiter gefasster Perspektive. Für die Brexit-Diskussion wären solche europäischen Medien ebenso nützlich gewesen wie für eine rationale Debatte über die Zuwanderung. Vielleicht könnten sie in illiberal abdriftenden Gesellschaften sogar dazu beitragen, das innenpolitische Klima ein wenig zu mildern.
Was also tun? Auf keinen Fall ein Propagandainstrument schaffen. Unabhängigkeit und Vielfalt müssen garantiert sein. Es braucht frische Ideen und ein Anreizsystem für Investoren. Möglicherweise bieten Sender wie ARTE Ansatzpunkte; vielleicht hilft es auch, bestehende Plattformen dazu zu verpflichten, Zeitfenster für ein Streaming europäischer Programme einzurichten. Wenn der Einfallsreichtum bei der Verbreitung von europäischem Content auch nur annähernd so groß ist wie in der EU-Agrarpolitik, darf man hoffnungsfroh sein. Auch die Vielsprachigkeit in Europa braucht kein Hemmschuh mehr zu sein, dafür gibt es längst intelligente Software. Klar ist nur: Mit dem antiquierten Modell einer weiterhin nur nationalen Öffentlichkeit wird es für Europa keine erfolgreiche Zukunft geben.
Für die Brexit-Diskussion und für eine rationale Debatte zur Zuwanderung wären europäische Medien nützlich gewesen.
Für die Brexit-Diskussion und für eine rationale Debatte zur Zuwanderung wären europäische Medien nützlich gewesen.