REZENSION

Verflixte Verkehrswende

Nur mit einer umfassenden Digitalisierung lassen sich die ehrgeizigen klimapolitischen Ziele im Verkehr erreichen. Das Auto wird bleiben, schreibt der frühere Schweizer Bahn-Chef Benedikt Weibel – und das Flugzeug auch.

TEXT: KARL-HEINZ PAQUÉ

Das Ziel ist inzwischen allseits bekannt: Es gilt, den Verkehr von fossilen Treibstoffen zu befreien. Aber wie? Dazu wird gemeinhin viel Ideologie und Wunschdenken verbreitet. Nicht so von Benedikt Weibel, einem versierten Praktiker der Verkehrspolitik mit internationaler Reputation. Er war 13 Jahre, von 1993 bis 2006, Chef der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) und forcierte dabei erfolgreich die Modernisierung des Bahnbetriebs im Alpenland mit Liebe zum Schienenverkehr. In seinem kleinen Büchlein „Wir Mobilitätsmenschen“ schildert er „Wege und Irrwege zu einem nachhaltigen Verkehr“. Er tut es unterhaltsam und schonungslos zugleich. Ein Must-Read für klimapolitische Verkehrsexperten – und solche, die es werden wollen.

In zehn kurzen, konzisen Kapiteln startet Weibel auf den philosophischen Höhen des Wertes der Mobilität, mit Blick auf Raum und Zeit sowie Freiheit und Wohlstand, ganz sachlich und vorurteilsfrei. Und er blickt auf gelungene und gescheiterte Innovationen. Von Letzteren wimmelt es im Verkehr, man denke nur an die Magnetschwebebahn oder das Überschallflugzeug. Im Nachhinein kaum überraschend, zerschellte das technische Faszinosum beide Male an banalen, harten, zumeist ökonomischen Realitäten: Es war zu teuer oder zu laut oder zu unbequem.

Richtig spannend wird es im längsten und wichtigsten Kapitel 9 des Buches unter dem Titel „Verkehrsformen unter der Lupe“. Dort knöpft sich der Autor systematisch verschiedene Formen der Mobilität vor, mit Blick auf ihre Zukunftsfähigkeit im Zeitalter der klimapolitischen Minimierung des CO2-Ausstoßes. Schiff, Eisenbahn und Fahrrad, Auto, Omnibus und Trolley, Fortbewegung per pedes, Mikromobilität und kombinierter Verkehr, alles wird sorgfältig betrachtet – und bewertet. Heraus kommen Erkenntnisse, die überraschen mögen: Die Renaissance des Schlafwagenzugs ist ökologisch und ökonomisch absurd; das Auto wird bleiben, weil völlig unentbehrlich für den ländlichen Raum, aber natürlich mit neuem Antrieb versehen; und das Flugzeug, der Lieblingsfeind der Klimaschützer, wird gerade auf kürzeren und mittleren Strecken überleben – mit neuer, klimafreundlicher Antriebstechnologie.

Eine Botschaft durchzieht das Buch wie ein roter Faden: Die Digitalisierung spielt auch hier eine überragende Rolle. Überall braucht es noch große technologische Fortschritte, um die Klimaneutralität des Verkehrs bis Mitte des Jahrhunderts zu erreichen. Nur mit einer umfassenden Digitalisierung aller Prozesse auf beiden Seiten des höchst differenzierten Verkehrsmarktes, bei Nachfrage und Angebot, gibt es überhaupt eine Chance, das ehrgeizige Ziel zu erreichen.

Benedikt Weibel verliert nie seine gute Laune – eine Leistung bei derart spröder technischer Materie.“

Benedikt Weibel liefert spannende Szenarien und Prognosen, gut begründet und überzeugend dargestellt. Und er verliert dabei nie seine humorvolle gute Laune – eine Leistung bei derart spröder technischer Materie! Um die Mitte des Jahrhunderts wird man feststellen, ob er mit seiner Analyse recht behalten hat. Aber bis dahin gilt: Ökologen, Ökonomen und Ökotechniker, bitte aufgemerkt!

Benedikt Weibel: „Wir Mobilitätsmenschen. Wege und Irrwege zu einem nachhaltigen Verkehr“, NZZ Libro (2021), 200 Seiten, 34 Euro

REZENSION

Verflixte Verkehrswende

Nur mit einer umfassenden Digitalisierung lassen sich die ehrgeizigen klimapolitischen Ziele im Verkehr erreichen. Das Auto wird bleiben, schreibt der frühere Schweizer Bahn-Chef Benedikt Weibel – und das Flugzeug auch.

TEXT: KARL-HEINZ PAQUÉ

Das Ziel ist inzwischen allseits bekannt: Es gilt, den Verkehr von fossilen Treibstoffen zu befreien. Aber wie? Dazu wird gemeinhin viel Ideologie und Wunschdenken verbreitet. Nicht so von Benedikt Weibel, einem versierten Praktiker der Verkehrspolitik mit internationaler Reputation. Er war 13 Jahre, von 1993 bis 2006, Chef der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) und forcierte dabei erfolgreich die Modernisierung des Bahnbetriebs im Alpenland mit Liebe zum Schienenverkehr. In seinem kleinen Büchlein „Wir Mobilitätsmenschen“ schildert er „Wege und Irrwege zu einem nachhaltigen Verkehr“. Er tut es unterhaltsam und schonungslos zugleich. Ein Must-Read für klimapolitische Verkehrsexperten – und solche, die es werden wollen.

In zehn kurzen, konzisen Kapiteln startet Weibel auf den philosophischen Höhen des Wertes der Mobilität, mit Blick auf Raum und Zeit sowie Freiheit und Wohlstand, ganz sachlich und vorurteilsfrei. Und er blickt auf gelungene und gescheiterte Innovationen. Von Letzteren wimmelt es im Verkehr, man denke nur an die Magnetschwebebahn oder das Überschallflugzeug. Im Nachhinein kaum überraschend, zerschellte das technische Faszinosum beide Male an banalen, harten, zumeist ökonomischen Realitäten: Es war zu teuer oder zu laut oder zu unbequem.

Richtig spannend wird es im längsten und wichtigsten Kapitel 9 des Buches unter dem Titel „Verkehrsformen unter der Lupe“. Dort knöpft sich der Autor systematisch verschiedene Formen der Mobilität vor, mit Blick auf ihre Zukunftsfähigkeit im Zeitalter der klimapolitischen Minimierung des CO2-Ausstoßes. Schiff, Eisenbahn und Fahrrad, Auto, Omnibus und Trolley, Fortbewegung per pedes, Mikromobilität und kombinierter Verkehr, alles wird sorgfältig betrachtet – und bewertet. Heraus kommen Erkenntnisse, die überraschen mögen: Die Renaissance des Schlafwagenzugs ist ökologisch und ökonomisch absurd; das Auto wird bleiben, weil völlig unentbehrlich für den ländlichen Raum, aber natürlich mit neuem Antrieb versehen; und das Flugzeug, der Lieblingsfeind der Klimaschützer, wird gerade auf kürzeren und mittleren Strecken überleben – mit neuer, klimafreundlicher Antriebstechnologie.

Benedikt Weibel verliert nie seine gute Laune – eine Leistung bei derart spröder technischer Materie.“

Eine Botschaft durchzieht das Buch wie ein roter Faden: Die Digitalisierung spielt auch hier eine überragende Rolle. Überall braucht es noch große technologische Fortschritte, um die Klimaneutralität des Verkehrs bis Mitte des Jahrhunderts zu erreichen. Nur mit einer umfassenden Digitalisierung aller Prozesse auf beiden Seiten des höchst differenzierten Verkehrsmarktes, bei Nachfrage und Angebot, gibt es überhaupt eine Chance, das ehrgeizige Ziel zu erreichen.

Benedikt Weibel liefert spannende Szenarien und Prognosen, gut begründet und überzeugend dargestellt. Und er verliert dabei nie seine humorvolle gute Laune – eine Leistung bei derart spröder technischer Materie! Um die Mitte des Jahrhunderts wird man feststellen, ob er mit seiner Analyse recht behalten hat. Aber bis dahin gilt: Ökologen, Ökonomen und Ökotechniker, bitte aufgemerkt!

Benedikt Weibel: „Wir Mobilitätsmenschen. Wege und Irrwege zu einem nachhaltigen Verkehr“, NZZ Libro (2021), 200 Seiten, 34 Euro

REZENSION

Kreuzzug gegen die liberale Idee

Bei seinen Inkognito-Recherchen traf Autor Tobias Ginsburg auf offenen Frauenhass, platte  Rollenbilder, rechtsradikale Ideen und die Ablehnung der Demokratie als „weibische“ Regierungsform. Mit seinem neuen Buch ist ihm jetzt ein Coup gelungen.

TEXT: CHRISTOPH GIESA

Geschichte wiederholt sich zwar nicht, aber sie reimt sich: Dass an dieser Aussage etwas dran sein könnte, zeigt sich bei der Lektüre von Tobias Ginsburgs neuestem Coup mit dem Titel „Die letzten Männer des Westens“ mehr als nur einmal. Der Autor – von Haus aus Theaterregisseur – mischt sich für seine Recherchen unter falschem Namen unter Menschen, die außerhalb des Scheinwerferlichts unterwegs sind. Diesmal war die Szene der Antifeministen dran. Doch wie schon zuvor, als er sich mehrere Monate unerkannt in der Reichsbürgerszene bewegte, musste Ginsburg auch diesmal erkennen: Was auf den ersten Blick vor allem skurril, nicht aber gefährlich wirken mag, rückt bis in die Mitte der Gesellschaft vor.

Der Begriff „Antifeminismus“ stammt aus der Zeit rund um das Jahr 1900. Die Frauenbewegten setzten ihn damals bewusst. Ähnlich wie Antisemiten ihre Abneigung gegen Juden nicht wegen deren realen Verhaltens entwickelten, sondern aus Gerüchten, kämpften Antifeministen nicht gegen die reale Ausprägung des Feminismus, sondern gegen eine Erzählung davon, die mit der Realität nicht allzu viel zu tun hatte. Spätestens hier reimt sich die Geschichte deutlich. Das wird in dem Buch nicht nur dann deutlich, wenn der Autor Hedwig Dohms Schrift „Die Antifeministen“ von 1902 zitiert und man spürt, dass sich die Kämpfe zwar verschoben haben, im Kern aber immer noch die gleichen sind.

Die Kämpfe haben sich in den vergangenen 100 Jahren zwar verschoben, sind im Kern aber noch die gleichen.

Es ist Ginsburgs Verdienst, zu zeigen, dass das vermeintliche Engagement für „Männerrechte“ sich nur selten um die Fragen dreht, die auch aus einer liberalen Sicht durchaus relevant sind, zum Beispiel das Thema Doppelresidenz für Trennungskinder. Immer und immer wieder während seiner Recherchen trifft der Autor auf Pauschalisierungen, offen vorgetragenen Frauenhass, platte und überholte Rollenbilder – und im nächsten Schritt auf rechte bis rechtsradikale Äußerungen. Die Abneigung gegen die Demokratie als vermeintlich „weibische“ Regierungsform, der man die vermeintlich männliche, militärische Härte entgegenstellt, ja, auch dieses Denken hat seit der Weimarer Republik überlebt. Das ist nichts anderes als ein Kreuzzug gegen die liberale Idee, den man nicht unterschätzen sollte.

Die richtige Antwort auf dieses revanchistische Tun hat Hedwig Dohm übrigens auch schon gegeben. „Gleichgültig, ob ich Mann, Weib oder Neutrum bin – vor allem bin ich Ich, eine bestimmte Individualität, und ein bestimmter Wert beruht auf dieser Individualität“, stellte sie damals fest. Und schickte damit die „letzten Männer des Westens“ dahin zurück, wo sie damals wie heute hingehören: an den schmuddeligen Rand der Gesellschaft. Das Buch mit dem gleichnamigen Titel allerdings sollte in der Mitte Gesellschaft unbedingt gelesen und erörtert werden.

Kurz nach Erscheinen des Buches hat die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit im Rahmen ihres digitalen Bildungsprogramms ein Gespräch mit dem Autor veranstaltet. Es ist auch weiterhin unter https://plus.freiheit.org/lesen-jetzt-tobias-ginsburg-die-letzten-manner-des-westens abrufbar.

Tobias Ginsburg, „Die letzten Männer des Westens. Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats“, Rowohlt Polaris, Hamburg (2021), 336 Seiten, 16 Euro

REZENSION

Kreuzzug gegen die liberale Idee

Bei seinen Inkognito-Recherchen traf Autor Tobias Ginsburg auf offenen Frauenhass, platte  Rollenbilder, rechtsradikale Ideen und die Ablehnung der Demokratie als „weibische“ Regierungsform. Mit seinem neuen Buch ist ihm jetzt ein Coup gelungen.

TEXT: CHRISTOPH GIESA

Geschichte wiederholt sich zwar nicht, aber sie reimt sich: Dass an dieser Aussage etwas dran sein könnte, zeigt sich bei der Lektüre von Tobias Ginsburgs neuestem Coup mit dem Titel „Die letzten Männer des Westens“ mehr als nur einmal. Der Autor – von Haus aus Theaterregisseur – mischt sich für seine Recherchen unter falschem Namen unter Menschen, die außerhalb des Scheinwerferlichts unterwegs sind. Diesmal war die Szene der Antifeministen dran. Doch wie schon zuvor, als er sich mehrere Monate unerkannt in der Reichsbürgerszene bewegte, musste Ginsburg auch diesmal erkennen: Was auf den ersten Blick vor allem skurril, nicht aber gefährlich wirken mag, rückt bis in die Mitte der Gesellschaft vor.

Der Begriff „Antifeminismus“ stammt aus der Zeit rund um das Jahr 1900. Die Frauenbewegten setzten ihn damals bewusst. Ähnlich wie Antisemiten ihre Abneigung gegen Juden nicht wegen deren realen Verhaltens entwickelten, sondern aus Gerüchten, kämpften Antifeministen nicht gegen die reale Ausprägung des Feminismus, sondern gegen eine Erzählung davon, die mit der Realität nicht allzu viel zu tun hatte. Spätestens hier reimt sich die Geschichte deutlich. Das wird in dem Buch nicht nur dann deutlich, wenn der Autor Hedwig Dohms Schrift „Die Antifeministen“ von 1902 zitiert und man spürt, dass sich die Kämpfe zwar verschoben haben, im Kern aber immer noch die gleichen sind.

Die Kämpfe haben sich in den vergangenen 100 Jahren zwar verschoben, sind im Kern aber noch die gleichen.

Es ist Ginsburgs Verdienst, zu zeigen, dass das vermeintliche Engagement für „Männerrechte“ sich nur selten um die Fragen dreht, die auch aus einer liberalen Sicht durchaus relevant sind, zum Beispiel das Thema Doppelresidenz für Trennungskinder. Immer und immer wieder während seiner Recherchen trifft der Autor auf Pauschalisierungen, offen vorgetragenen Frauenhass, platte und überholte Rollenbilder – und im nächsten Schritt auf rechte bis rechtsradikale Äußerungen. Die Abneigung gegen die Demokratie als vermeintlich „weibische“ Regierungsform, der man die vermeintlich männliche, militärische Härte entgegenstellt, ja, auch dieses Denken hat seit der Weimarer Republik überlebt. Das ist nichts anderes als ein Kreuzzug gegen die liberale Idee, den man nicht unterschätzen sollte.

Die richtige Antwort auf dieses revanchistische Tun hat Hedwig Dohm übrigens auch schon gegeben. „Gleichgültig, ob ich Mann, Weib oder Neutrum bin – vor allem bin ich Ich, eine bestimmte Individualität, und ein bestimmter Wert beruht auf dieser Individualität“, stellte sie damals fest. Und schickte damit die „letzten Männer des Westens“ dahin zurück, wo sie damals wie heute hingehören: an den schmuddeligen Rand der Gesellschaft. Das Buch mit dem gleichnamigen Titel allerdings sollte in der Mitte Gesellschaft unbedingt gelesen und erörtert werden.

Kurz nach Erscheinen des Buches hat die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit im Rahmen ihres digitalen Bildungsprogramms ein Gespräch mit dem Autor veranstaltet. Es ist auch weiterhin unter https://plus.freiheit.org/lesen-jetzt-tobias-ginsburg-die-letzten-manner-des-westens abrufbar.

Tobias Ginsburg, „Die letzten Männer des Westens. Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats“, Rowohlt Polaris, Hamburg (2021), 336 Seiten, 16 Euro

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