KINDERMUSEUM ANOHA

Von Noah zu Greta

Die neue Kinderwelt des Jüdischen Museums erzählt didaktisch raffiniert von Geboten, mit denen sich die Welt besser machen lässt. Denn von der Arche bis zur Klimapolitik ist es nicht weit.

TEXT: JO BERLIEN

KINDERMUSEUM ANOHA

Von Noah zu Greta

Die neue Kinderwelt des Jüdischen Museums erzählt didaktisch raffiniert von Geboten, mit denen sich die Welt besser machen lässt. Denn von der Arche bis zur Klimapolitik ist es nicht weit.

TEXT: JO BERLIEN

Gegenüber dem Jüdischen Museum in Berlin-Kreuzberg hat im Juni 2021 nach drei Jahren Bauzeit die Kinderwelt ANOHA eröffnet. In der einstigen Blumengroßmarkthalle, einem wunderbar lichten, hohen Raum, ist auf 2700 Quadratmetern Fläche ein Museum für Kinder im Alter bis 13 Jahren entstanden. Draußen grüßt ein Faultier von der Fassade. Drinnen steht Noahs Arche. 

Die Arche hat dem Museumsableger den Namen gegeben. ANOHA ist ein reines Kunstwort, keine Abkürzung, und ein Code nur im übertragenen Sinn. Denn heute, 4000 Jahre später, wird der alte Noah wieder gebraucht. Es droht ein zweiter großer Regen. Jeder Grundschüler hat von der Sintflut gehört (in Religion) und auch vom Klimawandel (beim Abendessen). Das ANOHA bringt beides zusammen und macht eine Erzählung draus: eine Abenteuergeschichte mit Schiff. Die babylonische Arche steht nicht fertig im Raum wie das Piratenschiff im Freizeitpark, sie bleibt eine Anmutung. „Schiffsplanken machen den Kahn intuitiv wahrnehmbar, ohne dass platt ein Rumpf nachgebaut wurde“, sagt der Organisationsdirektor Bülent Durmus. Denn das Schiff kann zugleich auch als zeitgenössisches oder künftiges Raumschiff erscheinen, eine Sojus-Rakete vielleicht, mit dem Faultier & Co. an der ISS andocken könnten, bis der Spuk auf der Erde vorbei ist. Oder was eine Siebenjährige sich sonst ausdenkt. „Die Architektur regt die Fantasie der Kinder an“, sagt Durmus.

Originell, zeitgemäß, frisch

Es ist nicht leicht, sich ein solches Kindermuseum auszudenken, ohne ein jüdisches Disneyland zu schaffen, einen pädagogisch allzu wertvollen Lernparcours, ein bedeutungsschwangeres „Retten-wir-die-Welt“-Mitmach-Ding. Um derlei zu vermeiden, haben sich die Leute vom Jüdischen Museum in Berlin Zeit gelassen, andere Museen angeschaut und sind schließlich in den Vereinigten Staaten fündig geworden. Die Amerikaner können so was. In Los Angeles gibt es das Skirball Cultural Center, ein Haus, das das jüdische Erbe pflegt und die Ideale der amerikanischen Demokratie feiert. Dort hat das Architekturbüro Olson Kundig aus Seattle das Motiv von Noah’s Ark bereits einmal umgesetzt.

Ja, sagen sie in Berlin, Los Angeles sei Inspirationsquell gewesen. „Aber wir haben schon alles selber entwickelt. Wir hatten auch mehr Platz“, sagt Bülent Durmus. Tatsächlich wirkt die Ausstattung in Berlin origineller, zeitgemäßer, frischer. Die typisch deutsche Idee, die 150 Tierfiguren aus Recyclingmaterialien zu bauen, verfängt. Man betrachte nur das edle Gürteltier, den Brüllaffen mit dem Bürstenhaarschnitt, den Orang-Utan mit Basketball im melancholischen Gesicht: Das ist Kunst! Oder den Esel: zwei aufragende Pumps als Ohren, ein Lederfußball als weiche Schnauze, im Maul drei Zähne, aus klobigen Originaltasten einer Schreibmaschine gebaut, darauf die Buchstaben I und A.

Blick in die Ausstellung in der ehemaligen Blumengroßmarkthalle.

Das Faultier heißt Besucherinnen und Besucher herzlich willkommen im ANOHA.

Ein Junge beobachtet, wie ein Blech-Waschbär einen Ball schrubbt. Im Kindermuseum darf alles angefasst, gehüpft und gerannt werden.

Blick in die Ausstellung in der ehemaligen Blumengroßmarkthalle.

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Ein Junge beobachtet, wie ein Blech-Waschbär einen Ball schrubbt. Im Kindermuseum darf alles angefasst, gehüpft und gerannt werden.

Der Kinderbeirat hatte Expertenstatus und stimmte über die Entwürfe ab.

Aber eine Ausstellung soll es nicht sein. Hier sollen Kinder ausprobieren und selbstbestimmt lernen. Im Museum, wo sonst immer gleich der Alarm losgeht, wenn man zu nah mit der Nase am Bild steht? Ja, im Kindermuseum darf angefasst, gehüpft und gerannt werden. Und wie will man wissen, dass die ganzen kreativen Ideen auch bei den Kindern zünden? Bülent Durmus lacht. „Natürlich war die Frage: Kann man als Erwachsener überhaupt nachempfinden, wie Kinder reagieren, wenn sie Esel, Affe und Gürteltier sehen? Da kann man viel hin- und herüberlegen. Darum haben wir die Kinder als Ratgeber dazu geholt.“ 20 Mädchen und Jungen aus sechs Berliner Grundschulen bildeten einen Kinderbeirat. In Workshops mit Künstlerinnen und Künstlern hatten sie Expertenstatus, stimmten über Entwürfe ab, sagten, was sie toll fanden und was doof. Auch der Name ANOHA ist Ergebnis einer Abstimmung im Kinderbeirat.

Unser aktueller Kinderbeirat unterstützt uns gerade bei der Entwicklung eines Bildungsangebotes“, erzählt die Museumsleitern Ane Kleine-Engel. Der Überbau liegt dabei nahe, denn von Noahs Arche zu Greta Thunberg ist es für einen Viertklässler nicht weit. „Nehmen Sie Fridays-for-Future-Slogans, wissenschaftliche Forschungsfragen oder ein religiöses Narrativ wie die Schöpfungsepisode in „Bereschit“: Allen gemein ist die Pflicht, aktiven Umweltschutz zu betreiben und der Umweltzerstörung nicht tatenlos zuzusehen.“ Da ist es nur konsequent, dass man für das ANOHA auch nur Bio-Baustoffe verwendet und 95 Prozent des sonst zu erwartenden CO2-Ausstoßes eingespart hat.

Die Reparatur der Welt

Die Arche Noah kommt in Judentum, Islam und Christentum vor; sie wird nur anders interpretiert. Nach Lesart der Tora beginnt mit Noach eine neue Weltordnung. Im Bund, den Gott mit den Menschen schließt und an den der Regenbogen erinnert, steht nicht mehr die Dualität der Welt, die Aufteilung in Gut und Böse, im Vordergrund, sondern die Anerkennung der Ambivalenz und Differenz als Charakteristikum der gesamten Schöpfung. Das heißt auf gut jüdisch: Ein Mensch, der „gut“ handelt, hat stets auch die Möglichkeit, es nicht zu tun; kein Mensch ist nur „gut“ oder nur „böse“.

Die Arche Noah kommt in Judentum, Islam und Christentum vor; sie wird nur anders interpretiert. Nach Lesart der Tora beginnt mit Noach eine neue Weltordnung. Im Bund, den Gott mit den Menschen schließt und an den der Regenbogen erinnert, steht nicht mehr die Dualität der Welt, die Aufteilung in Gut und Böse, im Vordergrund, sondern die Anerkennung der Ambivalenz und Differenz als Charakteristikum der gesamten Schöpfung. Das heißt auf gut jüdisch: Ein Mensch, der „gut“ handelt, hat stets auch die Möglichkeit, es nicht zu tun; kein Mensch ist nur „gut“ oder nur „böse“.

Darauf gründet auch das Konzept des Tikkun Olam, der Reparatur der Welt. Es hält den Menschen an, durch die Einhaltung von Geboten religiös, sozial oder politisch richtig zu handeln. Es stellt also auch die Frage: Wie kann jede/r von uns die Welt ein bisschen verbessern? Welche Werte und Fähigkeiten brauche ich, um Verantwortung für diese Welt zu übernehmen, um diese Erde zu einem gerechten Ort zu machen? Das ANOHA knüpft genau hier an. Es liefert sowohl die Erzählung von einer gerechteren Welt als auch die Aufforderung, schon von klein auf alles dafür zu tun.

Jo Berlien ist Teil von Berlien-Paries. Das 2009 in Hamburg gegründete Journalisten-Duo berichtet über Themen aus Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, häufig im jüdischen Kontext.

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