Bis zum Erscheinen dieses Magazins hätte man jeden Tag ein neues Kapitel des Krieges zwischen Russland und der Ukraine schreiben können. Und die ganze Geschichte ist auch beim Schreiben dieses Artikels noch nicht zu Ende. Sie hat viele vermeintliche Gewissheiten abgeräumt und Deutschland gezwungen, sich neu mit Albert Einsteins Satz zu befassen, dass die Welt nicht nur von denen bedroht wird, die böse sind, sondern auch von denen, die das Böse zulassen.

Innere und äußere Willkür

Der russische Machthaber Wladimir Putin führt sein Land nicht in die Moderne. Er führt es weder in die Richtung einer Modernisierung der Wirtschaft, einer unabhängigen Rechtsprechung und freier Medien noch zu einem wertebasierten Beitrag zur internationalen Ordnung. Ein Staat jedoch, der seinen Bürgern die grundlegenden Menschenrechte bestreitet, wird unweigerlich auch für seine Nachbarn gefährlich, wusste der unvergessene Václav Havel, erster Präsident der Tschechischen Republik. Die innere Willkür, sagte er, wachse sich unausweichlich auch zu einer Willkür in den Außenbeziehungen aus. Genau das vollzieht sich vor unser aller Augen schon länger und findet sich nun in diesem Frühjahr in einem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine auf die Spitze getrieben.

Dieser ist brutal wie jeder Krieg. Er markiert Gewalt als Konfliktlösung. Für Russland ist das ein gewöhnlicher Bestandteil seines politischen Instrumentenkastens. Putin denkt revanchistisch und ignoriert dabei, dass die ehemalige Sowjetunion seinerzeit keineswegs von der NATO besiegt worden ist. Ihre eigene politische Klasse hat den Zusammenbruch der Sowjetunion herbeigeführt. Diese selbstverschuldete Insolvenz ist ein Teil der Geschichte; sie lässt sich nicht zulasten der Nachbarn rückgängig machen. Und schon gar nicht auf Kosten der Ordnung in Europa.

Deutschland hat sich, was Russland betrifft, immer wieder einen schlanken Fuß gemacht. Nicht nur in der Politik, sondern auch und insbesondere in der Gesellschaft. Binnen weniger Tage, eigentlich sogar binnen nur weniger Stunden galt es nun aber, nach Kriegsbeginn am 24. Februar, eine Reihe von Tabuzonen zu durchbrechen. Und siehe da, Waffenlieferungen an die Ukra-ine waren für die Deutschen auf einmal doch möglich; man beschloss gemeinsame Sanktionen, die man vorher für mindestens problematisch hielt; der Verteidigungsetat, dessen Erhöhung noch bis vor kurzer Zeit bei durchaus relevanten politischen Kräften außerhalb jeglicher Betrachtung stand, wird nun endlich hochgefahren; die Ostsee-Pipeline Nordstream 2 wird sozusagen stillgelegt und Flüssiggas (Liquid Natural Gas, LNG), ehemals als Teufelszeug aus Fracking verschrien, ist auf einmal hoffähig.

Stocksteife Herren

Man darf gespannt sein, ob das alles hält, wenn hoffentlich einmal nicht mehr Krieg geführt wird. Denn eine beträchtliche Zahl von verblüfften Gesichtern begleitete die Regierungserklärung des Bundeskanzlers am 27. Februar aus den Reihen derer, die schon immer versuchten, anders über die Wirklichkeit zu reden, als sie ist – in der Hoffnung, dass sie sich dann schon ändern werde. Doch Russland bleibt auch am Ende des Krieges ein Nachbar auf einem reichlich großen Grundstück, geführt von einem Kriegsverbrecher, der seine Stärke auf Kosten der Demokratie ausspielt.

Es gibt aber keinen Krieg, in dem der eine gewinnt, was der andere verliert. Alle erleben nur menschliches Leid. Die älteren Herren, die in Putins Sicherheitsrat auf Stühlen ohne Armlehnen stocksteif saßen, begreifen das alles nicht mehr so richtig. Sie sehen aus wie aus der Zeit gefallen, unkalkulierbar und deshalb so armselig und gefährlich zugleich: Sprechpuppen Putins.

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