KRIEG IN EUROPA
Die Republik Moldau erlebt den Krieg im Nachbarland hautnah mit. Die Furcht vor einer bevorstehenden russischen Invasion ist auch hier groß – aus gutem Grund.
TEXT: RAIMAR WAGNER
KRIEG IN EUROPA
Die Republik Moldau erlebt den Krieg im Nachbarland hautnah mit. Die Furcht vor einer bevorstehenden russischen Invasion ist auch hier groß – aus gutem Grund.
TEXT: RAIMAR WAGNER
Die Republik Moldau erlebt ein Déjà-vu. In den Neunzigerjahren war das Land gleichsam dem Prototyp für die hybride Kriegsführung Russlands ausgesetzt. Nach viermonatigen Kämpfen zwischen moldauischen Verteidigungskräften und separatistischen Milizen („grüne Männchen“) besetzten russische Verbände 1992 Transnistrien, einen etwa 4000 Quadratkilometer großen Landstrich im Ostteil der moldauischen Republik mit seither unklarem Status. Transnistrien profitiert einerseits von allen Vorteilen der von der Republik Moldau unterzeichneten Handels- und Reiseabkommen, andererseits erklärt es sich für politisch unabhängig.
Kleinoligarchen in Tiraspol
In Transnistrien leben heute noch etwa 470 000 Menschen, wobei sich die Bevölkerung ethnisch aus je einem Drittel Moldauern, Ukrainern und Russen zusammensetzt. Die Hauptstadt Tiraspol wird mit Unterstützung Moskaus von korrupten Kleinoligarchen geführt, deren Einkünfte überwiegend aus Drogen-, Waffen- und sonstigem Schmuggel stammen. Farmen für Kryptowährungen zapfen zudem das einzige Stromkraftwerk des Landes an, das mit russischem Gas betrieben wird. Das Kraftwerk in Cuciurgan, das dem russischen Unternehmen Inter RAO ES gehört, ist mit seinen Steuern und Abgaben einer der größten Einzahler in den transnistrischen Haushalt. Das Regime in Tiraspol aber kommt nicht selbst für den Gasimport von Gazprom auf, sondern leitet die Rechnung, inzwischen über mehr als sieben Milliarden Dollar, an die Republik Moldau weiter, um dort die Abhängigkeit von Moskau zu vertiefen. Moldau selbst bezieht noch 70 Prozent seines Gesamtstromverbrauchs von demselben Kraftwerk.
Die größte Bedrohung stellt allerdings bei Weitem die 14. Russische Armee dar, Hinterlassenschaft des Konflikts von 1992: Die etwa 3000 Mann starke Einheit soll nicht nur angeblich den Frieden bewachen, sondern sie sitzt zudem auch auf einem 20 000 Tonnen schweren Waffenlager. Das ist eine im Wortsinne hoch explosive Situation. Wenn Odessa fallen sollte, steht den russischen Truppen in der Ukraine nichts mehr im Weg, um sich mit der 14. Armee zusammenzuschließen. Für Moldau stellt sich angesichts dessen die existenzielle Frage: Will Putin die So-wjetunion territorial auch hier wiederbeleben, und wird er dafür seine nur 70 Kilometer entfernt stationierten Truppen einmarschieren lassen?
Unter diesen Umständen erscheint der jüngst eingereichte Eilantrag Moldaus für den EU-Beitritt vor allem als ein Hilferuf. Lange war das Land zunächst eher von prorussischen Kräften geführt worden. Doch mit der Wahl Maia Sandus im Dezember 2020 zur Präsidentin stimmten trotz massiver russischer Gegenpropaganda die 2,5 Millionen Moldauer mehrheitlich eindeutig für die überzeugte Proeuropäerin. Sieben Monate später bestätigten die Wähler diese Neuausrichtung des Landes in den Parlamentswahlen.
Die größte Bedrohung ist die 14. Russische Armee, Hinterlassenschaft des Konflikts von 1992.
Neutralität in der Verfassung
Seit Ausbruch des Krieges hebt die Präsidentin immer wieder hervor, die Neutralität des Landes sei in der Verfassung verankert, und ein EU-Beitritt bedeute keinesfalls auch einen NATO-Beitritt. Eigentlich ist das Land aber noch weit davon entfernt, die Voraussetzungen für einen EU-Beitritt zu erfüllen. Zudem sind gerade jetzt, wie Maia Sandu eingestand, die notwendigen Reformen wegen des Flüchtlingsstroms aus der Ukraine ausgesetzt. Mehr als drei Prozent der Menschen im Land sind derzeit Geflüchtete. Das Land stehe am Rande des wirtschaftlichen Zusammenbruchs und sei dringend auf internationale Hilfe angewiesen, sagt die Präsidentin. Der EU-Nachbar Rumänien hat Soforthilfe in Form von je 150 000 Litern Benzin und Diesel sowie 5000 Tonnen Heizöl anrollen lassen. Auch die EU und die Vereinigten Staaten haben weitere humanitäre und wirtschaftliche Hilfen für das kleine Land zugesichert, das derzeit eine schwere Prüfung durchlebt.
Raimar Wagner ist für Rumänien und Moldau zuständiger Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Bukarest.
Raimar Wagner ist für Rumänien und Moldau zuständiger Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Bukarest.
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