WIRTSCHAFT SPEZIAL
Immer mehr Institutionen ziehen ihre Mittel aus Energieunternehmen ab, die den Klimawandel vorantreiben. Trotzdem müssen sie auf Rendite achten. Und das Ziel, fossile Energieträger im Boden zu belassen, ist noch in weiter Ferne.
TEXT: MAIKE RADEMAKER
WIRTSCHAFT SPEZIAL
Immer mehr Institutionen ziehen ihre Mittel aus Energieunternehmen ab, die den Klimawandel vorantreiben. Trotzdem müssen sie auf Rendite achten. Und das Ziel, fossile Energieträger im Boden zu belassen, ist noch in weiter Ferne.
TEXT: MAIKE RADEMAKER
Jetzt ziehen sie alles ab: Nur wenige Tage hat die Finanzwirtschaft gebraucht, um nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine das wohl größte Divestment der Geschichte zu starten. Weltweit verkaufen Finanzdienstleister, Ölfirmen, Unternehmen, Pensionsfonds alles an russischen Aktien, Anteilen, Beteiligungen, sie trennen sich von Unternehmen und kündigen Joint Ventures auf. Der norwegische Pensionsfonds ist darunter, sein kanadisches Pendant, aber auch Unternehmen wie Daimler Truck, Shell und BP. Die Motive sind politisch - der Krieg in der Ukraine - aber auch ganz pragmatisch: Geschäfte machen mit Russland wird zukünftig schwierig.
Neu ist das Instrument des politischen Divestments nicht. Shell kennt es gut – als betroffenes Unternehmen. So warnte der Ölkonzern im Geschäftsbericht 2020: „Einige Gruppen üben Druck auf bestimmte Investoren aus, damit sie ihre Investments in fossile Brennstoffe abziehen. Wenn das so weitergeht, könnte das einen negativen Einfluss auf den Preis unserer Wertpapiere haben und unseren Zugang zum Kapitalmarkt“, heißt es dort.
Einige Gruppen? Weltweit haben laut Divestinvest-Report, erstellt von einem internationalen Netzwerk an Menschen und Organisationen, bisher fast 1500 Institutionen rund 40 Billionen Dollar aus fossilen Energieunternehmen abgezogen. Sie haben Anleihen, Aktien und Fondsanteile dieser Unternehmen verkauft. Unter diesen Institutionen sind deutsche Kommunen wie Berlin oder Leipzig, und US-Städte wie New York, die ihre Rücklagen und Rentenfonds von solchen Anlagen bereinigen. Es sind renommierte Hochschulen darunter, Stiftungen, kirchliche Institutionen, Versicherungen wie die Allianz. 2015 erklärte der größte Staatsfonds der Welt, der Norwegische Pensionsfonds, öffentlich, dass man nicht länger über die Börsen Firmen finanzieren wolle, die den Klimawandel vorantreiben. Betroffen sind auf der anderen Seite börsennotierte Kohle-, Öl-, und Gaskonzerne, wie Shell, RWE, Exxon Mobile, Uniper.
Als politische Player sind die fossilen Konzerne delegitimiert, die Meinung wendet sich gegen sie.
Begonnen hat alles tatsächlich mit einigen Gruppen, 2011 in den USA. Damals forderten Studierende in Pennsylvania ihre Hochschule erfolgreich auf, ihr Geld aus fossilen Anlagen abzuziehen. Seitdem verbreitet sich die Idee wie ein Lauffeuer, tatkräftig unterstützt von prominenten Unterstützern wie dem ehemaligen UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon oder Ex-US-Präsident Barack Obama. Die Idee ist auf den ersten Blick einfach und attraktiv: Wer Anleihen, Anteile oder Aktien von fossilen Energieträgern besitzt, stößt sie ab und investiert das Geld stattdessen in nachhaltige Anlagen. Im Detail ist es, wie so oft, komplizierter. Denn für viele Investoren ist das oberste Gebot vor allem: Rendite, und nicht Klimaschutz. Einfach ein Portfolio entrümpeln und ein anderes aufbauen, heißt neue Risiken analysieren und eingehen.
Wie bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder, kurz VBL. Die VBL verwaltet über 40 Mrd. Euro und sichert damit die betriebliche Altersvorsorge im öffentlichen Dienst für rund fünf Millionen Tarifbeschäftigten. Sie steht seit 2019 unter Druck: Die Bürgerbewegung Finanzwende fordert, dass die VBL aus Kohle, Öl-, Gas- und Atomkraftanlagen auszusteigt. „Damit wir unsere Verpflichtung aus dem Paris-Abkommen zum Umweltschutz einhalten können, müssen wir jetzt handeln! Ihnen kommt dabei als Teil des öffentlichen Sektors eine besondere Vorbildfunktion zu“, heißt es in dem Protestbrief, den Tausende an die VBL geschickt haben.
Allerdings ist die VBL gesetzlich verpflichtet, so zu investieren, dass eine „möglichst große Sicherheit und Rentabilität“ erreicht werden. Entsprechend vorsichtig sind die Ausstiegsschritte: Man wolle, um einen Beitrag zum Klimawandel zu leisten, mit diesem Jahr nicht mehr in Unternehmen mit einem „überwiegend kohlebasierten Geschäftsmodell“ investieren. Bisherige Kapitalanlagen in solche Firmen würden bis Ende 2025 „zurückgeführt“. Den Ausstieg bewirkt nicht nur die Bewegung: Längst erhöht auch die Politik den Druck. Die Ampelregierung will an die 2019 beschlossene nachhaltige Finanzstrategie anschließen, nach der auch ökologische und soziale Nachhaltigkeitskriterien bei Finanzfragen berücksichtigt werden müssen. Auf der Klimakonferenz in Glasgow erklärten 27 Staaten, dass sie die internationale öffentliche Finanzierung von Öl, Gas und Kohle bis Ende 2022 beenden wollen. Für die Konzerne wird der Zugang zu Krediten und Versicherungen für Projekte mit fossiler Energie damit zunehmend schwieriger. Kein Wunder, dass die Divestmentbewegung jubelt: „Als politische Player sind die fossilen Konzerne delegitimiert, die Meinung wendet sich gegen sie“.
Auf die Börsenkurse hat das allerdings wenig Einfluss. Viele rangieren nach dem Einbruch durch die Corona-Krise wieder auf hohem Niveau. Und Käufer der verschmähten braunen Aktien verdienen kräftig. Wie Bison Interests, ein texanischen Investor, der sich auf Öl und Gas spezialisiert hat. „Die Menschen verstehen nicht, wieviel Geld man mit dem machen kann, was Menschen hassen“, freut sich deren Manager Joshua Young in der Financial Times.
Und es gibt auch eine andere Strategie, mit der manche Investoren argumentieren: Man sollte sein Geld nicht abziehen, sondern die Stimmrechte und den Einfluss nutzen, um mehr Nachhaltigkeit in den betroffenen Konzernen einzufordern. Sie ist als Engagement-Strategie bekannt. Für diese Strategie steht zum Beispiel Larry Fink, CEO von Blackrock, der weltweit größten Vermögensverwaltung. Noch 2020 kündigte Fink in seinem traditionellen Neujahrsbrief 2020 an: „Wir werden uns von Anlagen trennen, die ein erhebliches Nachhaltigkeitsrisiko darstellen, wie zum Beispiel Wertpapiere von Kohleproduzenten.“ Als die Organisation Urgewald, einer der Vorkämpfer für Divestment in Deutschland, 2021 nachwies dass immer noch 85 Mrd. Dollar von Blackrock allein in Kohlefirmen steckte, argumentierte Fink neu: „Kapital aus ganzen Branchen abzuziehen oder die Finanzierung CO2-intensiver Anlagen einfach von den öffentlichen in die Privatmärkte zu verlagern, wird die Welt nicht zum Netto-Null-Ziel führen“ warnte er. Es gebe „enorme Anlagechancen“ in „Phoenixe“ - sich transformierenden Unternehmen. Welche Strategie auch angewendet wird, das Ziel, fossile Energie im Boden zu lassen, ist noch weit. Laut der von Nichtregierungsorganisationen zusammengestellten Global Coal Exit List, einer Datenbank über die Kohlewirtschaft, planen weltweit 503 Unternehmen noch immer die Entwicklung neuer Kohlekraftwerke, neuer Kohleminen oder neuer Kohletransportinfrastruktur.
Maike Rademaker ist freie Wirtschaftsjournalistin und Moderatorin. Zu ihren Schwerpunktthemen gehören Klimawandel, Arbeitsmarkt und Umweltthemen. Sie lebt in Berlin.
Maike Rademaker ist freie Wirtschaftsjournalistin und Moderatorin. Zu ihren Schwerpunktthemen gehören Klimawandel, Arbeitsmarkt und Umweltthemen. Sie lebt in Berlin.
Fränzi Kühne ist Gründerin der ersten deutschen Social-Media-Agentur und Digitalchefin beim Stiftehersteller Edding. 2021 erschien ihr Buch „Was Männer nie gefragt werden“. Ein Gespräch über Stereotype, verhinderten Fortschritt, Fehler im Kindergarten und Olaf Scholz’ Schlabberpulli.
Herkunft, Ausbildung, Geschlecht: Von Diversität ist in den Medien bisher nicht viel zu sehen. Dabei ist Vielfalt ein journalistisches Qualitätsmerkmal.
Nicole Grünewald ist Geschäftsführende Gesellschafterin der Kölner Werbeagentur „The Vision Company“. 2020 wurde sie zur ersten Präsidentin der Industrie- und Handelskammer zu Köln gewählt.