Staatsverständnis

Mit der
Gartenschere im
liberalen Staat

Bei der Bundestagswahl ging es um vieles, aber kaum um vernünftige Wirtschaftspolitik. Jetzt ist es Zeit für die Liberalen, darüber nachzudenken, welche Aufgaben der Staat künftig übernehmen soll.

Text: Stefan Kolev

Das Bild der Garten- oder Heckenschere setzt auch in der Finanzpolitik stetiges Handeln voraus.

Staatsverständnis

Mit der Gartenschere im liberalen Staat

Bei der Bundestagswahl ging es um vieles, aber kaum um vernünftige Wirtschaftspolitik. Jetzt ist es Zeit für die Liberalen, darüber nachzudenken, welche Aufgaben der Staat künftig übernehmen soll.

Text: Stefan Kolev


Blickt man auf den Bundestagswahlkampf 2025 zurück, so waren für den organisierten Liberalismus zwei Aspekte der Wirtschaftspolitik zentral: in der Finanzpolitik die Schuldenbremse, in Sachen Bürokratie die Forderung, etwas mehr Musk und Milei zu wagen. Leider geriet die Wirtschaftspolitik in den letzten Wahlkampfwochen in den Hintergrund, weil zunehmend alles vom Thema Migration überschattet wurde.

Umso wichtiger ist es für die Liberalen heute, über diese zwei Aspekte zu reflektieren. Von diesem Punkt aus sollte man die Zeit der außerparlamentarischen Opposition klug nutzen, um über den liberalen Staat und seinen Platz in Wirtschaft und Gesellschaft gründlich nachzudenken.

Quantitative Deckelung

Zunächst zur Schuldenbremse, auch wenn nach der fiskalpolitischen Revolution nach der Bundestagswahl nicht mehr als ein Rumpf übriggeblieben ist. Es ist und bleibt richtig, dass der liberale Staat in seinem fiskalischen Umfang beschränkt werden muss. Dazu hat die Schuldenbremse eine disziplinierende Wirkung entfaltet und viele Politiker dazu gebracht, Ausgaben zu priorisieren und dies auch zu begründen. Das tut dem demokratischen Prozess gut. Solche Mühen um ehrliche Begründungen einzelner Staatsaufgaben und -ausgaben werden ohne den „hard budget constraint“ weniger wahrscheinlich.

Im Sinne einer notwendigen Bedingung war und ist es also richtig, den liberalen Staat quantitativ zu deckeln. Das ist aber keine hinreichende Bedingung für das Entfalten seiner Qualitäten. Womöglich ist durch die Fixierung auf die Schuldenbremse in der Kommunikation weniger deutlich geworden, was man mit diesem fiskalisch gedeckelten Staat an liberaler Politik alles machen will. Mit anderen Worten: Die Frage über die Quantität der Ausgaben hat die Frage der Qualität der Aufgaben dominiert. Künftig gilt es, diese beiden Fragen gleichermaßen zu beantworten und besser in Einklang zu bringen.

Der Schwerpunkt auf der Quantität ist nicht neu. In den letzten Jahrzehnten war es stets ein zentrales liberales Ziel, den Staat „kleiner zu machen“, „klein zu halten“ etc. Das galt und gilt besonders im Verhältnis zum Sozialstaat. Wenn man aber heute auf diese Jahrzehnte zurückblickt, stellt man fest, dass der Staat entlang vieler Maße seines Umfanges nicht kleiner geworden ist, manchmal sogar deutlich größer. Woran mag es liegen? Warum verfängt diese liberale Rhetorik nicht?

Wer über das Preis-Leistungs-Verhältnis des Staates reden will, muss auch über seine qualitativen Leistungen sprechen.
Stefan Kolev

Hier ein Erklärungsversuch. Der Fokus auf die Verkleinerung des Staates hat die Liberalen gut darin geübt zu sagen, was sie nicht wollen: den überbordenden Sozialstaat, den wachsenden Steuerstaat, den übergriffigen Überwachungsstaat etc. Dieser Fokus auf das Nichtwollen hat aber die Fähigkeiten geschmälert, die eigene positive Agenda weiterzudenken und diese klug zu kommunizieren. Mit anderen Worten: Wenn man sich auf die Fahnen schreibt, dass man das Preis-Leistungs-Verhältnis des Staates verbessern will, darf man nicht nur über den quantitativen Preis im Sinne von Steuern oder Abgaben reden, sondern muss auch über die qualitativen Leistungen des liberalen Staates Überzeugendes zu sagen haben.

Letzteres stellt allerdings, zumal in unserer Zeit, keine trivialen Fragen. Zum Beispiel: Was verstehen Liberale noch unter Bildung im KI-Zeitalter? Oder: Was genau bedeutet Infrastruktur beim zunehmenden Verschmelzen konventioneller und digitaler Infrastruktur? Die positive Agenda des liberalen Staates hätte demnach erst zu klären und zu kommunizieren, was die Qualität der bereitzustellenden Güter sein soll – und dann nach der Arbeitsteilung zwischen Privaten und Staat zu suchen, die diese Güter zum möglichst niedrigen Preis entstehen lässt.

Dieser Fokus auf die Qualität des Staates führt zum zweiten wirtschaftspolitischen Aspekt des Wahlkampfes, nämlich der Frage nach Musk, Milei und der Kettensäge. Mit den Erkenntnissen aus den vergangenen Monaten ließe sich zunächst festhalten, dass Musk als politischer Akteur deutlich weniger ernst zu nehmen ist als Milei. Die letzten Wochen haben mit dem Scheitern seiner Washingtoner Karriere gezeigt, dass er sich mit seinen Fantasien im Wesentlichen als unpolitischer Mensch erwiesen hat.

Sowohl Musk als auch Milei sind als Revolutionäre angetreten, wofür die Kettensäge die von vielen bewunderte Metapher geworden ist. Musk scheint aber nicht die politische Energie zu haben, die Kettensäge auch nur einige Wochen lang erfolgreich zu schwingen. Ganz anders Milei, der durch kluge Berater wie den Ökonomen Federico Sturzenegger eine konsequente und entlang vieler Maße bislang erfolgreiche Agenda durchsetzt.

Eines bleibt dennoch richtig: Die Kettensäge ist ein revolutionäres Symbol. Liberale sind aber keine Revolutionäre gegenüber der liberalen Ordnung. Und in den westlichen Demokratien haben wir eine solche Ordnung – das war in Argentinien vor Milei nicht notwendigerweise der Fall. In einer liberalen Ordnung, zumal in ihrem aktuell fragilen und polarisierten Zustand, kann die Kettensäge auch viel Schaden anrichten, indem sie Falsches oder gar die Grundfesten der Ordnung ansägt.

Konkrete Freiheiten

Deshalb brauchen Liberale ein anderes Werkzeug, welches den reformerischen Charakter des Liberalismus verkörpert. Angesichts der Fehlbarkeit des Menschen und seines beschränkten Wissens haben liberale Vordenker vielfach betont, dass Fortschritt – sowohl in der Erkenntnis als auch in der Politik – meist in kleinen Schritten erfolgt. Dafür eignen sich Metaphern wie die Garten- oder Heckenschere. Auch diese tun dem liberalen Garten gut, wenn sie richtig bedient werden. Aber das muss man stetig und beständig tun, statt auf die sofortige Schneise zu hoffen, wie sie die Kettensäge hinterläßt.

Christian Dürr hat beim jüngsten Bundesparteitag von konkreten Freiheiten gesprochen. Die Aufgabe ist es demnach, über die konkrete reformerische Bedienung der Gartenschere auf den verschiedenen Politikfeldern von Wirtschaft und Gesellschaft so nachzudenken, dass die Liberalen wieder vom Bürger als diejenigen betrachtet werden, deren Gartenschere man die Zukunft des Landes erneut anvertrauen kann.

Stefan Kolev leitet das Ludwig--Erhard-Forum für Wirtschaft und Gesellschaft in Berlin und ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Westsächsischen Hochschule Zwickau.

Stefan Kolev leitet das Ludwig--Erhard-Forum für Wirtschaft und Gesellschaft in Berlin und ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Westsächsischen Hochschule Zwickau.

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